Dienstag, 14. August 2012

Kapitel 8

»S-Sie lebt wo!?« Hatte ich mich da etwa verhört? Liams grausames Lächeln blieb. »Du hast schon richtig gehört. Sie lebt in einer Heilanstalt. Sie wollte sich umbringen, als sie von den Tod von Cathrin erfahren hat. Ihr Vorhaben wurde vereitelt.« Mir wurde kalt bei den Gedanken, in die Heilanstalt zu fahren. Das waren doch Tabuorte für die Öffentlichkeit, und niemand wollte freiwillig etwas damit zu tun haben. Liam konnte meinen entsetzten Gesichtsausduck sehen. Gefiel ihm das etwa? »Ich kann gut nachvollziehen, das es ein Schock ist, zu erfahren, wo Valerie sich heute befindet.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber hey. Du hast die Wahl. Entweder besuchst du sie und findest Antworten, oder du wirst weiterhin vom Geist Cathrins verfolgt. Natürlich ist es nicht unwahrscheinlich, selbst verrückt zu werden.« Ich schüttelte den Kopf. »Du wiederlicher, eiskalter Idiot!« rief ich empört. »Bist du immer so feinfühlig!?« »Das habe ich nie behauptet.« Es entstand eine Pause. Im Geiste ging ich meine Optionen durch. Liam hatte Recht. Entweder fahre ich zu Valerie, was mir sehr großes Unbehagen bereitete oder ich werde weiterhin vom Geist Cathrins verfolgt. Beides gefiel mir gar nicht, doch irgendetwas musste ich unternehmen. Und ich wollte wissen, was wirklich dahinter steckte. »Du wirst mich doch dahin begleiten, oder?« rief ich kleinlaut. »Selbstverständlich. Die Heilanstalt liegt nicht hier in Sognefjord. Und ich bin dort nicht zum ersten Mal zu Besuch.« Überrascht schaute ich Liam an. Ich wagte es gar nicht, den nächsten Satz auszusprechen. »Bist du etwa mit ihr befreundet?« »Befreundet kann man nicht sagen. Eher sowas wie ... seelischer Beistand. Seid sie da ist, hält niemand mehr zu ihr. Wer will auch schon mit einer Verrückten zu tun haben?« Kein Wunder also, das viele Liam als komischen Kauz abstempelten. Seine Worte ließ ich mir durch den Kopf gehen. Wie musste sich wohl Valerie fühlen, von jedem verlassen zu sein und keiner möchte mit ihr zu tun haben, nur weil sie da lebt? Sie hatte ihre Schwester auf tragische, jedoch unerklärte Weise verloren und ihre Eltern? Wie standen sie wohl zu ihr? »Wann geht es los?« fragte ich. Erstaunt schaute mich Liam und und diesmal lächelte ich. »Auch du hast richtig gehört. Lass uns zu Valerie fahren und herausfinden, was dahinter steckt.«

Ich fühlte einen großen Schritt weitergekommen zu sein. Inständig hoffte ich, Valerie würde mir Antworten liefern. Doch wie ging ich mit einer Person, die in einer Heilanstalt lebte, um? Niemand hatte mir je erklärt, weder Schule noch Eltern. Es war einfach ein Tabuthema. Liam hatte mir, bevor sich unsere Wege trennten, einen Zettel gegeben, wo seine Adresse draufstand. Ich sollte am nächsten Tag, früh um Neun Uhr bei ihm sein. Mit seinen Auto würden wir dann zu der Heilanstalt fahren, die ca. Dreißig Kilometer von hier entfernt war. Als ich gerade die Haustür betrat, klingelte das Telefon. Ich war nicht schnell genug, als Tantchen ranging und sekundenspäter mir den Hörer entgegenhielt. Fragend schaute ich sie an. Mit den Lippen formte sie die Worte »Vivian«. Ich ging heran, mit einer Mischung aus Skepsis und Freude. »Ja?« »Hey. Ich bin es, Vivian. Ich wollte fragen, wie es dir geht?« ertönte es am anderen Ende. Tantchen ging wieder in die Küche zurück und ich stand allein im Wohnzimmer. »Es geht schon.« erwiederte ich nach einer langen Pause. »Hör mal. Ich habe gehört, was in der Nacht passiert war. Ich kann mich nur dafür entschuldigen.« »Du willst dich für sein Verhalten entschuldigen!? Ähm... kann er das nicht selbst?« Ich klang leicht verärgert. »Deswegen ja. Hättest du vielleicht Lust, mit uns ins Kino zu gehen? Die nächsten Tage vielleicht? Wir geben dir so viel Zeit, wie du willst, ob du unsere Einladung annhemen willst.« Ich räusperte mich kurz. »Ähm... morgen habe ich schon was vor. Ich werde es mir überlegen. Wartet einfach auf meine Antwort.« Mit diesen Worten ging ich in die Küche und setzte mich zu Tantchen. »Hast du in der Bibliothek etwas erreicht?« fragte sie mich. Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Also... äh... ich habe nichts passendes für mich gefunden.« Ich wollte ihr nichts davon erzählen, was ich morgen vorhatte. Was für eine Meinung hatte sie wohl über Valerie? Auch dieser Tag verging wie im Flug und ehe ich mich versah, war es wieder Abend. Diesmal ließen wir zusammen den Tag mit einer Tasse Tee ausklingen.

In der Nacht konnte ich zunächst überhaubt nicht einschlafen. Wie sooft kreisten mir tausende Gednaken durch den Kopf. Doch am meisten war ich gespannt auf den morgigen Tag. Es war überhaubt das erste Mal, das ich so einen Ort betrat. Eine Welt für sich. Ich stand am nächsten Morgen schon um sieben auf, um mich besonders mental auf das Treffen vorzubereiten. Tantchen war wieder arbeiten. Hoffentlich dauerte der Besuch nicht allzulange. Während ich etwas as, übelegte ich mir passende Ausreden, sollte sie schon eher heim kommen, wenn ich noch nicht da war. Übereilig startete ich los und folgte den Schildern in der Stadt. Liams Wohung befand sich in einen Mehrfamilienhaus. Auf dem Klingelschild konnte ich noch drei weitere Familiennamen ausfindig machen. Mit zittrigen Händen klingelte ich, und wartete, bis mir die Tür aufgemacht wurde. Auch Liam war fertig, den Autoschlüssel griffbereit. »Guten Morgen.« erwiederte ich kleinlaut und folgte ihn in die Garage, die sich im Hof hinter dem Haus befand. Während der Fahrt redeten wir nur wenig. Doch eine Sache brannte mir seid Anbeginn unter dem Nägeln. »Sag mal... Kanntest du Valerie und Cathrin auch schon vor dem Mord?« Die ersten Minuten erwiederte Liam überhaubt nichts. Erst dann rückte er zögerlich mit der Sprache heraus. »Uns trennten nur ein-zwei Jahre Altersunterschied. Ja, ich hatte mit ihnen zu tun. Ob du es glaubst oder nicht; zusammen mit Aaron und Vivian bildeten wir beinahe soetwas wie eine Clique. Doch nach dem Mord lebte sich jeder von uns auseinander. Wir trafen uns immer seltener und irgendwann brach der Kontakt dann ganz ab. Nur zur Gerichtshandlung haben wir uns nocheinmal alle getroffen.« Meine Neugier erwachte zum Leben. »Was für eine Gerichtsverhandlung?« »Der Tod von Cathrin löste bei vielen Bewohnern Bestürzen aus. Nachdem man sie für tot in der Höhle erklärt hat, kamen die wildesten Gerüchte auf. Manche sprachen von Mord, andere glaubten, es sei Selbstmord, weil sie sich zuvor mit Vincent gestritten hat.« »Wer ist Vincent? Muss man dir denn alles aus der Nase ziehen?« Ich wollte, das Liam weitersprach. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen, wonach mein Herz einen Sprung machte. »Vincent war Cathrins Verlobte. Beide waren unzertrennlich und sie schmiedeten schon Zukunftspläne. In der Tatnacht waren wir alle in der Disco verabredet. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob Cathrin mit dem Streit angefangen hat oder nicht. Jedenfalls lief sie weg.« »Und woher wusste man dann, das sie in der Höhle war?« Er zuckte mit den Schultern. »Man hat ihre Kette vor dem Eingang gefunden. Da sich kein Mensch in die Höhle traute, ging man davon aus, das sie da in die Tiefe gestürzt ist.« Bei dem Wort Kette verkrampften sich meine Finger. Meinte er etwa dasselbe Kettchen, das ich gefunden hatte!? Liam bemerkte meine Veränderung. »Stimmt etwas nicht?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Rede ruhig weiter.« Ich wollte ihn noch nicht von meiner Entdeckung erzählen. »Andere die von Mord erzählen, sind der Meinung, Vincent hätte ihr in der Höhle aufgelauert und sie dann in die Tiefe gestürzt.« Mir schauerte bei den Gedanken, von einer geliebten Person in die Tiefe getürzt zu werden. »Hat man denn je Beweise dafür gefunden?« fragte ich weiter. »Nicht wirklich. Als er von der Polizei verdächtigt wurde, kam er eine Woche später ins Gefägnis. Frage mich nicht nach der Beweislage. Die hat keiner so richtig verstanden.« Nicht, das Vincent zu Unrecht verdächtigt wurde? Auch wenn ich ihn noch nie auf ein Foto gesehen habe, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, das er Cathrin, seine Verlobte umgebracht hatte. »Und wie ging es mit Vincent weiter? Sitzt er seiddem noch immer im Gefägnis?« Liam antwortete nicht sofort. »Willst du das wirklich wissen?« fragte er mich. Ich nickte. »Natürlich. Nun rück schon raus mit der Sprache!« »Er hat sich einen Tag vor der Gerichtverhandlung selbst umgebracht.«

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