Das Essen war mir grundauf vergangen, als ich wieder nach Hause ankam. Es war spätnachmittags; bald würde Tantchen da sein. Ich beschloss, im Fernsehen eine Ablenkung zu suchen. Allerdings war das Program alles andere als spannend.
Nachrichten waren mir zu langweilig und über Comedy konnte ich derzeit nicht so lachen. Ohne auf den Inhalt zu achten, schaute ich mir dennoch eine Dokumentation an. Die Tür ging auf und Tantchen steckte ihren Kopf in das Zimmer hinein.
»Ich bin wieder da. Hast du Hunger? Ich habe etwas mitgebracht.« Tatsächlich hatte ich wirklich Hunger bekommen und stand auf. »Ja. Gerne. Möchtest du etwas kochen?« Tantchen nickte. »Dann will ich dir hellfen.« bot ich ihr an und folgte ihr in die Küche.
Es war eine gute Abwechslung, da mir drohte, der Kopf zu zerplatzen. Unzählige Gedanken schwirrten umher wie ein riesiger Bienenschwarm. Während ich das Gemüse schnitt, schaute mich Tante Berit von der Seite an. »Du bist so still. Ist etwas vorgefallen?« Einen Moment
schneidete ich weiter, ehe ich inne hielt. »Alles in Ordnung. Ich bin nur müde. Ich habe einen Spaziergang unternommen.« Jetzt hielt auch sie inne. »Du warst doch nicht etwa bei der Höhle?« Ich log, indem ich den Kopf schüttelte. »Nein. Keine Sorge. Ich bin nur ziemlich weit gelaufen und nun völlig kaputt.«
Keinesfalls wollte ich ihr von meiner Geistererscheinung Cathrin erzählen. Oder das ich Liam getroffen habe. Eine Stunde später war alles angerichtet und wir nahmen das Abendbrot gemeinsam ein. Danach zog ich mich in meinen Zimmer zurück und las weiter in meinen Buch. Ich schaute auf die Bücher, die ich auf der Kommode hingelegt hatte.
Normalerweise verschlang ich diese innerhals küzester Zeit, doch nun... Mein eigenes Leben kam mir wie ein Mysterythriller vor.
Am nächsten Morgen wollte ich die Bibliothek nochmal aufsuchen. Heute war es kühler und die Sonne zeigte sich nur selten. Ich hoffte, nicht auf Aaron zu treffen. Seid dem Vorfall hatte ich weder von ihm, noch was von Vivian gehört. Und Liam? Auch Funkstille. Insgeheim wollte ich ihn wiedersehen. Doch dahinter steckte keine Liebe. Zumindest glaubte ich das.
Schon im Eingangsbereich war es warm und ich zog meine Jacke aus. Ich stand wieder vor den Regalen und wusste nicht so recht, wo ich anfangen sollte, zu suchen. Regale voll mit Büchern erstreckten sich über mich. Ich hatte mir alles einfacher vorgestellt. Doch ich wollte nicht aufgeben; konnte es nicht. Zielsicher bog ich um die nächste Ecke und wäre beinahe
nach hinten zurückgesprungen. Wer stand dort? Liam! Zum Glück hatte er den Rücken zu mir gewandt. Wie ein kleines Mädchen ging ich einen Schritt rückwärts und lehnte meinen Kopf gegen eins der Regale. Was sollte ich nur tun? War er noch sauer auf mich? Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und ging zu ihn herüber. Ich wählte jedoch die Methode Zufällig-am-Bücherregal und griff
wahllos nach einem. »H-Hi.« rief ich kleinlaut. Er drehte sich kurz in meine Richtung, nur, um sich Augenblicke später wieder den Büchern zuzuwenden. »Hey!« rief ich leicht verärgert, als er mich sichtlich ignorierte. Erneut drehte er sich um. »Es ist alles gesagt wurden. Was willst du dann noch von mir?« Seine schroffe Art kränkte mich. Ich hatte doch nie etwas ernsthaft Böses zu ihm gesagt!
Er kannte mich doch gar nicht richtig. Wie kann er sich dann eine Meinung über mich bilden? »Ich wollte mich entschuldigen. Wegen... wegen dem Missverständniss gestern. Ich habe gehört, das Vivian ziemlich viel redet. Überhöre das doch einfach. Du bist doch einfach Du. Und niemand anders.« Ohne Punkt und Komma hatte ich jetzt wohl in meiner Psychologiekiste rumgekramt und aufgesagt. Unbeeindruckt schaute mich Liam an
»Ich suche keinen Kummerkasten. Spare dir also deine Mühen.« Was für ein Sturkopf! Aber das konnte ich auch. »Ich will mich nur entschuldigen! Es ist dein Problem, ob du sie annimmst oder nicht!« Ich wurde immer lauter, bis schließlich eine Frau vom Personal kam und uns wirklich (!) nach draussen vor dem Gebäude beförderte. »Das hast du ja wirklich toll hinbekommen.« rief Liam mürrisch. »Wenn ich jetzt wegen dir hier Hausverbot erhalte...«
Trotzig gab ich zurück: »Du hättest auch einfach meine Entschuldigung annehmen können.« Liam lehnte sich an das Mauerwerk. »Ist das dein einziger Grund, warum du mich aufgesucht hast? Auf das Gerede von Vivian gebe ich eh nichts mehr.« Wozu hatte ich mich dann eigentlich darüber ausgelassen!? »Naja... es ging mir auch darum, was gestern passiert ist. Ich habe es bisher niemanden erzählt.« Er hob eine Augenbraue, hörte mir aber zu. »Wärs möglich, wenn wir uns auf die Bank da drüben hinsetzen könnten?«
Überraschenderweise folgte er mir. Und dann erzählte ich alles, wie es bei mir daheim begonnen hatte, bis zum gestrigen Tag, wo mir der "Geist" von Cathrin begegnet war. Als ich fertig war schaute ich nervös auf den Boden. Ich erwartete, das er lachen würde, mich als komplett verrückt erklären würde, aber nichts dergleichen geschah.
Mit ernster Miene schaute er mich nachdenklich an. Ich sah nur einen Moment zu ihm hinauf und lief vor Scham rot an. Sofort senkte ich meinen Blick wieder. »U-Und?« fragte ich nach einer Weile vorsichtig nach. »Was hälst du davon?«
»Ich sehe da nur eine Möglichkeit.« Er zuckte mit den Schultern und stand auf. Ich blickte zu ihm hinauf. Seine Miene war nach wie vor vollkommen ausdruckslos. In mir stieg ein mulmiges Gefühl empor. Ich ahnte, dass das nichtd Gutes zu bedeuten hatte.
»Du solltest Valerie einen Besuch abstatten.« Verwirrt schaute ich ihn an. »Wer ist Valerie?« Auf seinen Gesicht breitete sich nun ein unheimliches Grinsen aus, was mir einen kalten Schauer über den Rücken liefen ließ. Ich zählte schon gar nicht mehr mit, wie offt mir das hier passiert war.
Ein neuer Rekord! Vielleicht sollte ich mich für das Guinness-Buch bewerben... »Valerie Hallvard. Sie ist die Schwester von Cathrin. Und sie lebt seid dem Tod von ihr in der Heilanstalt.«
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen