Es war tiefste Nacht, als wir im Krankenhaus ankamen. Reece wurde sofort in der Notaufnahme untersucht, während ich draussen auf den Gang auf einen Plastikstuhl saß. Weit vorgebeugt vergrub ich mein Gesicht in meine Hände. Wie konnte es überhaubt so weit kommen? Ich schüttelte den Kopf und dachte abermals an das Versprechen an Holly. Es war zu verrückt, um es jemanden erzählen zu können.
Resigniert dachte ich darüber nach, mich ebenfalls gleich einweisen zu lassen. »Ihr Freund ist über dem Berg.« riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich schaute auf und sah in das Gesicht eines dunkelhäutigen Arztes. Er hielt ein Klembrett in der Hand und trug eine Brille. Seine gekräuselten Haare hatten einen leichten Grauschimmer. Und, er lächelte mich freundlich an. Ich nickte. »D-Darf ich zu ihm? U-Und was passiert nun mit ihm?«
Die Antwort lag mir fast schon auf der Zunge. Doch ich wollte eine Bestätigung. Der Arzt trat näher heran. »Sie können ihn kurz sehen. Aber er ist noch nicht bei Bewusstsein.« Er hielt inne. »Er wird in eine Psychiatrie für Suchtkranke überwiesen. Dort wird man ihm helfen.« Genau, helfen... Das war mein einziger Gedanke. »Ich zeige Ihnen das Zimmer.« fing der Arzt an, als ich nichts darauf erwiederte. Ich stand auf und folgte ihm den Gang hinunter.
Was in den nächsten Stunden geschehen sollte, übertraf selbst meine kühnsten Träume. Ja, es war unglaublich, und ich hoffte, es handelte sich dabei um einen schlechten Witz. Aber dem war nicht so. Im Gegenteil...
Ich setzte mich schweigend an das Bettende von Reece. Dieser lag regungslos da. Nur ein schwaches Piepen der Monitore waren zu hören. Betrübt und sogleich besorgt schaute ich ich ihn an. Gewiss lagen keine romantischen Absichten dahinter, viel mehr war mein einziger Wunsch, das er überlebte.
Trotzdem hatte ich bis dahin noch nicht den Mörder von Holly gefunden. Ein kleiner Seufzer glitt über meine Lippen. Ich tappte völlig im Dunkeln. Doch was hatte Reece noch vor ein paar Tagen gesagt? Die Verdächtigen befänden sich im engeren Kreise... Sollte das etwa wieder bedeuten, das der Mörder jemand war, den ich kannte?
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich schlang meine Arme um meinen Körper. Was, wenn der Mörder es auch auf mich abgesehen hatte? Ich schaute wieder zu Reece rüber und ging jede Person durch, die ich kannte. Liam konnte ich da wohl gänzlich ausschließen. Warum sollte er ein Mädchen umbringen, was er noch nie zuvor gesehen hatte?
Cheryl kam an die Reihe. Auch wenn ich sie in letzter Zeit nicht mehr oft gesehen hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, das sie einen Mord hätte begehen können. Oder etwa doch? Aber was würde sie wohl damit bezwecken? Damit würde sie garantiert ihren Job riskieren. Reece kam ebenfalls kaum in Frage. Auch wenn er mich entführt hatte,
glaubte ich nicht daran, das er Holly umgebracht hatte. Zwar bin ich noch nicht dahinter gestiegen, wie er wirklich zu ihr stand, doch die zahlreichen E-Mails sprachen wohl für sich. Blieb also nur noch Nathan übrig. Und da begann ich, daran zu zweifeln, ob er wirklich so unbeteiligt war, wie er tat. Schließlich war er urplötzlich in mein Leben getreten.
Und einige Male hatte er sich wirklich merkwürdig benommen... die Sache mit den Medaillon. Oder der Mord an der älteren Dame. Das schien ihn überhaubt nicht zu interessieren. Mir kam der schreckliche Gedanke, das er etwas damit zu tun haben könnte. Ich schauderte erneut, und das ließ Nathan in einen ganz neuen Licht dastehen. Das vertraute Bild von ihm, begann sich zu verzerren.
Die ganzen Überlegungen machten mich ehrlich gesagt etwas schläfrig. Doch ich wollte keineswegs im Krankenhaus übernachten. Ehrlich gesagt wusste ich auch nicht so recht, wohin ich überhaubt hin musste. Würde sich die Polizei eigentlich noch bei mir melden?
Ich beschloss, mich auf die Suche nach einen Getränkeautomaten zu machen. Ok, es würde auch ein Wasserspender reichen, zumal ich sowieso kein Geld bei mir hatte. Ich schloss langsam hinter mir die Tür und ging den Gang hinunter. Obwohl tiefste Nacht war, war es erstaunlich ruhig. Nur manchmal kam mir jemand vom Personal entgegen.
Déja-vu-Erlebnisse kamen in mir hoch und ließen mich nocheinmal meinen Krankenhausbesuch durchleben. Doch ich schob den Gedanken schnell beiseite, als ich tatsächlich einen Wasserspender fand. Natürlich war Wasser jetzt nicht das ultimative Aufpuschmittel, um wach zu bleiben, aber es war kostenlos. Ich machte mir meinen Becher reichlich voll und trat den Rückweg an.
Ich wunderte mich etwas, als ich erblickte, das die Tür zu Reece´s Krankenzimmer einen Spalt offen stand. Vielleicht nahm ja eine Krankenschwester Blut ab oder so.
Unbekümmert trat ich in das Zimmer und wollte etwas von Guten Abend sagen, doch vor Schreck fiel mir der Becher auf den Boden. Ungläubig starrte ich auf mehrere, uniformierte Personen.
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