An meinen freien Tag wachte ich früh auf. Und obwohl ich weiterschlafen wollte, funktionierte es nicht. Egal, wie oft ich die Augen schloss, es brachte nichts. Selbst Schäfchen zählen am frühen Morgen war sinnlos. Genervt setzte ich mich auf meinen Bett auf und lief in das Bad.
Nach einer lauwarmen Dusche ging es mir etwas besser. Während ich wie jeden Morgen Tee trank und die Nachrichten verfolgte, überlegte ich, was ich den ganzen Nachmittag über machen könnte. Erst abends würde Nathan erscheinen. Bis dahin musste ich irgendwie die Zeit totschlagen. Statt in der Wohnung herumzugammeln,
machte ich einen Spaziergang nach draussen. Ich würde dem nahegelenden Park einen Besuch abstatten. Vielleicht bekam man ja an einer Ecke Eis. Während ich mich auf den Weg machte, schossen mir die Dinge durch den Kopf, die mir die letzten Tage widerfahren waren. Es war einfach verrückt. Ich wollte unbedingt im aktuellen Fall weiterkommen.
Doch ich bekam das Gefühl, das es nicht so recht vorangehen wollte. Ich bräuchte einfach mehr Informationen.
Während ich den Weg entlang lief und die Sonne genoß, drehte ich mich zufällig um. Die Menschen um mir schienen sich normal zu benehmen. Ausser einer Person. Einen Moment überlegte ich noch, ehe ich alles mit einen Achselzucken hinnahm. »Alles nur Hirngespenste...« flüsterte ich mir selbstzu und ging weiter. Das Gefühl, verfolgt zu werden, blieb allerdings.
Ich suchte mir eine freie Bank und ließ mich darauf nieder. Ich schaute mich im weiträumigen Gelände um, und atmete erleichtert aus, als ich niemanden Verdächtigen mehr sehen konnte. Vielleicht war es tatsächlich nur Einbildung gewesen? »Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Ich drehte mich verwundert zur Seite um und bemerkte erst jetzt, das unmittelbar neben mir eine ältere Dame saß. Sie hatte einen altmodischen Hut
mit Rosen auf. Sie besaß auch einen Gehstock und war formell und schick angezogen. Wahrscheinlich so eine ältere, reiche Dame... Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, nein.« Die Frau lächelte. »Oh. Dann muss ich mich wohl verguckt haben.« Wusste sie etwas von meinen angeblichen Verfolger? »Es ist ein schöner Tag, oder?« fragte sie mich weiter und nickte mit den Kopf. »Ja. Angenehm mild für diesen Monat.«
Wir saßen ein paar Minuten lang still da und beobachten die Menschen. Ich wusste nicht so recht, was ich noch hätte sagen können. Doch das war auch gar nicht nötig. Denn die alte Dame fing wieder von selbst an: »Was halten Sie davon, wenn ich Sie zu einen Kaffee einlade? Ich kenne da ein ausgezeichnetes Café.« Verwundert schaute ich sie an. »Ähmm...« brachte ich hervor. Ich kannte die Dame keine zehn Minuten, und sie wollte mich direkt zu einen Kaffee einladen?
Ob das eine Falle war? Aber sie sah harmlos aus... eigentlich. »Ich wünsche mir ein bisschen Gesellschaft, wissen Sie?« erklärte sie mir, als ich nichts sagte. »Mein Mann...« dabei stockte sie etwas, »... ist vor einen Jahr gestorben. Seiddem fühle ich mich etwas einsam. Selbst die größten Reichtümer machen nicht glüklich, mein Kind.« Ein bisschen bekam ich schon Mitleid. Und ich glaubte nun kaum daran, das sie etwas im Schilde führen würde.
Da ich sowieso nicht so recht wusste, was ich noch in der restlichen Zeit tun sollte, stimmte ich den Vorschlag zu.
Ich hatte ein einfaches, ja fast schmuckloses Café erwartet. Doch das Gebäude, in das mich die ältere Dame führte, übertraf alle meine Vorstellungen. Schon von aussen sah es wunderschön verziert aus, ganz zu schweigen von der Innenausstattung. Man fühlte sich wie in einen Traum.
»Setzen Sie sich doch.« bat sie mich und wir nahmen Platz in einer ruhigen, gemütlichen Ecke. Abermals schaute ich mich um und staunte. Warum hatte ich dieses Gebäude nie früher entdeckt? Wenn ich mir die Gäste so genauer ansah, konnte ich erkennen, das alle viel vornehmer gekleidet waren, als üblich.
Da fühlte ich mich in meinen Klamotten etwas fehl am Platz. »Suchen Sie sich ruhig etwas aus der Karte heraus. Sie können probieren, was immer Sie möchten.« Ich nickte und studierte die Karte. Das erste, was mir sofort ins Auge stach, waren die Preise. Doch bei diesen Laden sollte das wohl keine Überraschung sein.
Letztendlich entschied ich mich für ein Stück Kuchen und einen Tee, und hoffte, damit nicht allzuviel falsch zu machen. Während wir warteten, war mir etwas unbehaglich zumute. Zunächst saß ich da erstmal mit einer völlig fremden Frau in einen sehr schicken, und sehr teuren Café. Und der zweite Punkt war das Gesprächsthema.
Was sollte ich schon Interessantes aus meinen Leben erzählen? Mein beruflicher Werdegang war wohl Nebensache, und das sollte auch so bleiben. »Haben Sie eigentlich Enkel?« fing ich an und schaute die Frau interssiert an. Sie lächelte mir wehmütig zu. »Ja. Aber sie lebt allerdings nicht hier in Amerika, sondern in England.« »Oh.« erwiederte ich.
»Das ist sehr weit. War sie denn schon einmal hier in Amerika?« Die ältere Dame schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube nicht. Und ich habe auch kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter.« Das erinnerte mich ein wenig an meine Oma. Zwar verbietetete mir meine Mom den Kontakt nicht zu ihr, aber sie wohnte einfach immer zu weit weg um sie je besuchen zu können.
»Schreiben Sie ihr doch eine Postkarte.« schlug ich vor. In dem Moment kam unsere Bestellung. Erst, nachdem die Frau einen Schluck aus ihren Tee nahm, sprach sie weiter. »Ich besitze die Adresse leider nicht. Und ich glaube, meine Tochter wird sie ohne weiteres nicht hergeben.« Gedankenversunken nahm ich ein Stück von meinen Kuchen. Eine verzwickte Situation.
Wir schwiegen noch eine Weile. »Ich bedanke mich, das du den Nachmittag mit mir verbracht hast.« rief sich die ältere Dame. Ich lächelte. »Kein Problem. Es freut mich sehr, das ich in diesen Café sein darf.« Die Frau fing in ihrer Handtasche an, etwas zu suchen. Mit der geschlossenen Hand kam sie wieder hervor und legte sie auf den Tisch. Verwundert, aber dennoch neugierig, schaute ich sie an.
»Ich möchte Ihnen etwas geben.« verriet sie mir. »Das ist aber gar nicht nötig.« antwortete ich. »Wenn, dann müsste ich eher...« Doch sie schüttelte den Kopf. »Nimm es als Geschenk an.« Und endlich öffnete sie ihre Hand, und zum Vorschein kam ein Medaillon. »Das kann ich nie und nimmer annehmen! Das ist doch viel zu wertvoll!« protestierte ich. »Doch, doch.« Auch die Frau blieb stur und drückte es mir in die Hand.
Ich betrachtete die Kette genauer. Es war ein typisches, älteres Medaillon, das reichlich verziert war. Es ließ sich sogar öffnen, wie ich feststellte. Doch aus Höflichkeit wollte ich es nicht vor ihr tun. »D-Danke.« bedankte ich mich und ließ sie erstmal auf den Tisch liegen. Der Rest des Gespräches verlief überraschenderweise sehr gut. Jeder von uns erzählte etwas aus seinen Leben.
Und die Zeit verflog schnell... Ehe ich mich versah, war es schon um fünf! »Ich muss mich dann wieder auf den Weg machen.« rief ich. Eigentlich wollte ich gerade meine Geldbörse herausholen, da merkte ich, das ich gar keine dabei hatte. »Ähmm...« brachte ich hervor. »Das geht auf mich. Keine Sorge.« Ich bedankte mich abermals. »Vielleicht treffe ich Sie ja nocheinmal.« Zum Abschied winkte ich und machte mich auf den Heimweg.
Danach dauerte es nicht mehr lange, bis Nathan erschien. Wie in seiner Freizeit, trug er an dem Abend ein Hemd mit Jacket sowie eine Hose und Lederschuhe. »Wir gehen doch nur in eine Disco.« Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Nathan schaute an sch herunter und runzelte die Stirn. »Sieht es schlecht aus? Ich dachte, das wäre das passende Outfit.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe nie behauptet, das es schlecht aussieht. Nur unpassend.«
Ich ging einen Schritt auf ihn zu und öffnete, ohne zu zögern, die ersten Knöpfe seiner Jacke sowie Hemdes. Mitten in der Bewegung hielt ich inne und ging hastig zur Seite. »E-Entschuldige.« stammelte ich. »So siehts vielleicht etwas lockerer aus.« nuschelte ich und verschwand im Bad. »Ich bin gleich soweit!« rief ich hinter verschlossener Türe. Im Spigel schaute ich mich minutenlang an und seufzte laut. Was hatte ich da gerade eigentlich getan!?
Hatte ich Nathan unweigerlich angemacht? Hoffentlich dachte er nun nichts Schlechtes über mich. Abermals begutachtete ich nochmal mein Make-Up und versuchte, so gut es ging, den kleinen Vorfall zu ignorieren. Mittlerweile war es Abends und wir liefen den ganzen Weg zum Club hin. Zuvor hatte ich eine Nachricht von meinen Chatpartner erhalten. Ich würde ihn daran erkennen, das er an der Bar eine rote Kappe trug. Ein bisschen nervös war ich ja schon. Ob es daran lag,
das Nathan neben mir herlief, zum Glück völlig ungezwungen, und mit einen gewissen Abstand, oder ob das Treffen im Club daran Schuld war.
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