Der nächste Tage sah in meinen Augen schon wieder deutlich besser aus. Auch wenn der Schock von gestern mir noch in den Knochen saß. Am Frühstücksstisch brachten wir beide nur wenig Konservation zustande.
Ich fragte mich woran das lag, wollte aber nicht nachfragen oder Liam wohlmöglich zu etwas drängen. So saßen wir also mehr oder wenig schweigend vor uns. Selbst der Tasseninhalt war interessanter, als irgendein Gespräch anzufangen.
Mit einen kleinen Kuss auf der Stirn verabschiedete sich Liam von mir, da er los musste. Schon vor ein paar Tage hatte er mir angekündigt, wieder für knapp zwei Wochen fort zu sein. Es trieb mir jedes Mal Tränen in die Augen und zeriss mein Herz auf
schmerzliche Weise. Doch auch ich musste auf Arbeit. Mit einer letzten Umarmung trennten sich erneut unsere Wege und mit trüben Gedanken stieg ich in die nächste Straßenbahn.
Mein Arbeitsplatz lag mitten in New York, umgeben von mindestens fünf Wolkenkratzern. Zu allen Übel lag unser Büro auch noch ganz weit oben. Und es war schon immer ein Zwiespalt für mich, einerseits diesen Job mit voller Hingabe auszuüben,
auf der anderen Seite aber die Höhenangst zu besiegen. Schon im Foyer liefen ungewöhnlich viele Menschen umher, was mich doch etwas wunderte. Klar, es war Montag, aber gleich soviel? Hatte sich am Wochenende soviel angesammelt? Doch soweit ich wusste,
war selbst da Schichtarbeit angesagt. Mit einen mulmigen Gefühl betrat ich den Fahrstuhl. Ich war glücklicherweise nicht die Einzige, die zugestiegen war, aber die Tatsache, das dieser Fahrstuhl verglast war und man Meter für Meter mitzählen konnte, machte
das alles keinen Deut besser. Mir war es schon lange egal, was Mitarbeiter, Gäste oder Ähnliches von mir dachten, wenn ich sekundenlang die Augen zusammenknief, um nicht nach unten oder geradeaus zu schauen. Erstaunlicherweise hatte ich dadurch noch nie mein Stockwerk verpasst.
»Fahren Sie zum ersten Mal?« Überrascht öffnete ich die Augen und sah in das amüsierte Gesicht eines jungen Mannes. Ihn machte es wohl scheinbar gar nichts aus, und seinen Gesichtausdruck nach zu urteilen, fand er die ganze Situation ziemlich komisch. Ich lief etwas rot an, wollte aber
keineswegs eine Szene machen. »Nein.« antwortete ich mit der größten Beherrschung und Selbstsicherheit, die mir in diesem Moment übrig geblieben war. Doch so ganz schien mir der junge Herr mir das nicht abzunhemen. »Sie sollten sich Hilfe suchen.« riet er. War irgendein ein Psychologiestudent?
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich glaube, das schaffe ich auch alleine.« Die Richtung, in die das Gespräch verlief, gefiel mir gar nicht. Ich hatte eine abgebrochene Therapie hinter mir, wegen des Vorfalls in Sognefjord. So schnell jetzt noch eine zu machen, bereitete mir noch mehr Unbehagen.
»Sie können Musik hören.« schlug er mir weiter vor und lächelte mich aufmunternd an. So langsam wurde es mir aber nervig und ich schaute ungeduldig auf die Anzeige des Displays. Wir hatten gerade mal den neunzehnten Stock erreicht, und es lagen mindestens noch dreißig vor mir. So höflich wie möglich versuchte
ich ihn klarzumachen, das ich seine Hilfe nicht benötigte: »Hören Sie mal. Ich danke Ihnen für Ihre Tipps, doch das finde ich in meinen Fall für überflüssig. Bitte kümmern sie sich um Ihre Angelegenheiten.« Am liebsten hätte ich dennoch etwas hinterhergehauen, aber stattdessen drehte ich mich um und starrte den Spiegel an,
der im Fahrstuhl angebracht war. Doch schnell wurde mir klar, dass das eigentlich gar nicht viel brachte. »Ihren Gesichtsausdruck nach zu urteilen, missfällt Ihnen die momentane Situation, und Sie wünschen sich wohlmöglich, ganz woanders zu sein.« Ich musste mich gar nicht umdrehen, um sein Grinsen zu sehen.
»Woher nehmen Sie es sich überhaubt heraus, mich zu belästigen?« Auch meine Geduld war irgendwann am Ende. Ich drehte mich um und sah den Fremden wütend an. Doch auch das schien ihn nicht sonderlich zu stören. »Ich dachte, es ging darum, ihre Phobie zu besiegen?« Er lächelte dieses Ich-habe-Recht-Lächeln und just in dem Moment
kam ich in meine Etage an. Eigentlich wollte ich schnellstmöglichst rausgehen, was sich aber dann doch als stolpern herausstellte. Ein verrückter Morgen...
Selbst, als ich im Büro ankam, herrschte ein großes Chaos. Gerade hier hatte ich gehofft, wenigestens etas Ruhe zu finden. Kaum war ich in dem Raum eingetreten, drückte mir auch schon ein Kollege ein Stappel Papier in die Hand. Seinen Namen kannte ich gar nicht, da er den ganzen Tag überall zu schien sein, und sich nie länger
als eine halbe Minute an einen Ort aufhielt. Er trug allerdings immer ein weißes Hemd und seine Brille mit schwarzen Gestell.
»Öhm... dankeschön.« murmelte ich und verzog mich in einen kleinen, seperaten Raum zurück, was ich als Büro bezeichnen konnte. Dieses hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt.
Die Büros aus Filmen sahen immer viel besser ausgestattet aus, als das hier. Lag es wohlmöglich an den kleinen Rang gegenüber anderen Mitarbeitern? Trotzdem hatte ich es mir nicht nehmen lassen, meinen Schuhkarton, wie ich ihn
bezeichnete, etwas hübscher einzurichten. Zwei Pflanzen, eine auf den Schreibtisch, die andere auf den Fensterbrett vermittelten etwas Grün im Raum. Papiere und Formulare hatte ich fein säuberlich in verschiedenfarbige Ablagen sortiert.
Und auch ein Foto von Liam und mir, hatte ich unmittelbar neben meinen PC hingestellt.
Leicht seufzend nahm ich den ebengerade erhaltenen Papierstapel zu mir, als die Tür aufging. Ohne jegliche Vorwarnung. Kein Klopfen; nichts. Natürlich erschrack ich tierisch. »W-WAS...!?« wollte ich gerade erwiedern, als ich in das Gesicht von Cheryl sah.
»Tut mir Leid, das ich so unangenehm in dein Büro geplatzt bin.« entschuldigte sich. Nervös schloss sie die Tür und spielte mit ihren Anhänger an der Kette. »Was ist denn los?« fragte ich sie verwundert. Normalerweise war Cheryl die Coolheit in Person.
»Nun ja...« fing sie an. »Da gibt es einen neuen Fall...Gerade erst reingekommen... Und ich bin da zugeteilt wurden...« Langsam machte mich das alles aber wirklich sehr stutzig. »Nun mal raus mit der Sprache. So kenne ich ich dich doch gar nicht, Cheryl.«
»Ich kann den Fall einfach nicht annehmen weil...« Ich erwartete, das es vielleicht ein Familienmitglied von ihr sein könnte, das gestorben sei, doch was sie dann als Erklärung abgab, warf mich beinahe vom Stuhl: »Mein Ex ist ebenfalls da zugeteilt wurden. Und ich kann doch schlecht mit ihn da zusammenarbeiten nach alldem...«
»BITTE!?« entfuhr es mir und ich stand beinahe auf. »Das soll dein Problem sein!?« Na zum Glück arbeitete nicht Liam in meiner Branche... Cheryl hob flehend die Hände. »Bitte. Übernehm den Fall für mich. Du hast auch auf alle Fälle was Gut bei mir.« Ich wog die Möglichkeiten ab, und kam zu dem Entschluss, Cherys Bitte anzunehmen.
»Na gut. Von mir aus. Wenn es dir soviel bedeutet. Dafür kannst du aber diesen Papierstapel abarbeiten.« Grinsend hielt ich ihr die Papiere hin, die sie mehr oder weniger begeistert entgegennahm. »Ich wünsche dir Viel Spaß.«
Nur wenige Minuten nach Cheryls Besuch ging es wieder nach unten in die Tiefgaragen, wo mich andere Kollegen erwarten würden. Doch statt des Fahrstuhles nahm ich diesmal die Treppen. Selbst wenn man runterlief, kam man doch genauso aus der Puste, als wenn man hinauflief.
Halb abgekämpft kam ich unten an und schwor mir, Termine im Fitnesscenter auszumachen. »Ich dachte, Martinez würde uns begleiten?« Verwundert schaute mich ein Herr mittleren Alters an. Er trug einen Bart, und wenn ich mich recht entsinne, hieß er Marc? »Ähm ja...« stammelte ich.
»Die Pläne haben sich wohl geändert. Anordnung von ganz Oben.« gab ich als Erklärung ab. Wobei ganz Oben alles mögliche bedeuten könnte. Niemand konnte so ganz wissen, wer eigentlich da oben zur Elite gehörte. Die absoluten Super-Bosse sozusagen, die im direkten Kontakt mit dem Präsidenten standen.
Doch ich benutzte diese Erklärung gerne immer als Ausrede, die bisher immer funktionierte. Marc zuckte mit den Schultern. »Wenn es so sein soll.« Scheinbar war er nicht gerade begeistert davon, eine junge Möchtegern-Agentin auf einen Einsatz mitzunehmen. Still verzog ich mich auf die Rückbank des Wagens und wir fuhren los.
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