Ich ließ das Handy noch einen Moment länger klingeln, ehe ich zögerlich den Anruf entgegennahm: »J-Ja?« fragte ich.
»Du hast da noch etwas bei mir vergessen.« »Wirklich?« ich fragte mich, was das wohl war. »Ja. Die Tagebucheinträge. Du wirst sie besser gebrauchen können, als ich. Hole sie einfach bei mir ab.«
Für einen Moment war ich wieder sprachlos, mein Mund war total trocken. »K-Klar. Gerne.« brachte ich endlich unter Krächzen hervor. »Dann bis gleich.« rief Liam gut gelaunt, der scheinbar nichts von
meiner Nervösität mitbekam. Die Tagebucheinträge hätte ich fast vergessen. Ich würde sie mir wohl heute Abend genauer vornehmen. Vielleicht gab es neue Hinweise auf den Mörder. Gedankenversunken bog ich in die
Straße ein, wo Liam wohnte. Meine Finger zitterten leicht, als ich die Klingel drückte. Ich freute mich innerlich sehr, ihn wiederzusehen. Auch wenn es draussen kalt war, jagten mir förmlich heiße Schauer den Rücken herunter.
Als Liam endlich die Tür öffnete, musste ich mich zusammenreißen, nicht gleich loszuheulen. Ohje... woher kamen nur diese Stimmungsschwankungen? »H-Hi.« brachte ich hervor und umarmte ihn flüchtig. Als ich zurücktrat, sah ich,
das er die Tagebucheinträge in der Hand hielt. »Verstecke sie gut.« gab er mir zu wissen. Ich schaute ihn verwirrt an. »Und wo wäre der geeigneste Platz dafür?« fragte ich. »Komm erstmal rein.« bat er mich und hielt mir die Tür offen.
Ich folgte seiner Bitte und trat in den Flur hinein. Neugieig schaute ich mich um. Soweit ich das beurteilen konnte, waren die Räume einfach, aber geschmackvoll eingerichtet. Liam ging in die Küche, wo er ein Fenster öffnete. Ich setzte mich an den
Küchentisch und wartete ab. Während er sich eine Zigarette anzündete, nahm ich auch hier die Küche näher unter die Lupe. Aus lauter Verlegenheit traute ich mir nicht, etwas
zu sagen. Lieber wartete ich, bis er anfing. »Willst du etwas trinken? Draussen wird es immer kälter.« Er drehte sich um und schaute mich aufmerksam an. Ich schaffte es kaum, seinen Blick standzuhalten. Ich nickte. »Gerne.«
Nachdem Liam zuende geraucht hatte, machte er das Fenster wieder zu und begab sich an die Küchentrese. Aus dem Schrank holte er eine Dose hervor. Es handelte sich dabei um ein Instant-Kaffepulver. Dann holte er noch eine kleine Schachtel hervor, was sich als Tee herausstellte.
Mit dem Rücke zu mir gewand, goss er das heiße Wasser auf und stellte mir die dampfende Tasse wenige Minuten später vor mir hin. Er setzte mich mir gegenüber und wir schauten uns schweigend an. Wobei mein Blick eher dem Tasseninhalt galt.
»Wir könnten die Zettel in der alten Scheune verstecken.« fing Liam und ich schaute auf. »Ist sie denn weit weg von hier?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Man kann sie per Fuß erreichen. Sie liegt allerdings in der Nähe vom Wald.« Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst, dass das richtig ist.«
Vorsichtig nippte ich an meinen Tee. Als wir fertig waren, zogen wir uns an und gingen los.
Schweigend gingen wir den Weg entlang. Noch immer konnte ich meine Gefühle gegenüber Liam nicht ganz einordnen. Ich war verunsichert, ob er sie überhaubt erwiedern würde. Hätte unsere Beziehung eine Chance gehabt? Immerhin musste ich bald wieder zurück nach Oslo. Das Resultat wäre dann wohl eine Fernbeziehung.
Wie lange würde das wohl halten? Ein oder zwei Monate und dann wäre Schluss? Einfach so? Während ich nachgrübelte, wie es mit uns weiterging, waren wir an unser Ziel angelangt. Die Scheune war nicht sonderlich groß, stand aber verlassen am Waldrand da, und wurde scheinbar nicht mehr genutzt. Der Riegel war verrostet und ich sah,
das schon einige Ziegel fehlten. Auch hier und da war ein Loch in die Wand geschlagen wurden, aber ansonsten... Wenn hier niemand hinkam, war es das ideale Versteck.
Die Tür war nicht schwer zu öffnen. Uns empfing ein leichter Strohgeruch. Das Licht von draussen fiel in gleichmäßigen Streifen hinein. In der Ecke rechts von mir, sah ich tatsächlich einen großen Strohhaufen. Auf der linken Seite standen noch Überbleibsel von Arbeitsgeräten, die aber stark verrostet waren.
»Sollen wir die Zettel etwa im Stroh verstecken?« fragte ich und schaute mich nach einem anderen Versteck um. Liam nickte. »Hier kommt sowieso niemand her. Das Stroh wird nicht mehr genutzt.« Ich ging zu dem großen Haufen hinüber und grub eine kleine Mulde, wo ich die Tagebucheinträge sorgfältig hineinlegte. Danach ließ ich mich auf
das Stroh nieder und schaute zufrieden zu Liam herüber. Es herrschte Stille, nur der Wind war zu hören, doch innerlich baute sich eine Spannung an. Meine Gefühle für Liam überrannten mich förmlich. Nichts lag mir näher, als endlich meine Gefühle gegenüber Liam zu gestehen. Wie durch Telepathie kam er zu mir herüber, der bis dahin noch am
Eingang verweilte. Er setzte sich neben mich und ich ließ ohne Scheu meinen Kopf an seine Schulter sinken. Er ergriff meine Hand. So saßen wir eine Weile schweigend da. Mein Herz hämmerte. Dürfte doch dieser Moment für immer verwehren. Ich wollte etwas sagen, doch Liam brachte mich zum Schweigen, indem er mir einen Finger auf meine Lippen hielt.
Er beugte sich zu mir herab und ein gab mir sanft einen Kuss. Ein unbeschreibliches Gefühl durchströmte meinen Körper; ein wahres Prickeln, und ich schloss meine Augen. In dem Moment wollte ich mehr, viel mehr und zog ihn fester an mich heran.
Unsere Küssen wurden immer heftiger, das Verlangen immer größer. Wir hatten es dennoch nicht eilig, uns die Klamotten vom Leib zu reißen. Viel mehr wollten wir den einzigartigen Augenblick festhalten.
Ich glaube, es war gar nicht so wichtig, wo wir es hatten. Hey- schließlich hatte ich auf dem Friedhof den ersten Kuss von Liam bekommen. Warum sollte da eine alte Scheune einen Unterschied machen? Unsere Körper verschmilzten förmlich und die Welt schien still zu stehen. Es war ein sanftes aber zugleich irre geiles Gefühl. Einfach unbeschreiblich.
Nach dem Akt, wenn ich es es so sagen darf, gab es eigentlich nicht viel zu reden. Das hätte wohl die Atmosphäre zerstört. Unsere Kleidung diente mehr oder weniger als Decke, doch mir war so noch sehr warm und das Stroh gab sein übriges. Eng aneinander gekuschelt lag ich auf seiner Brust und lauschte seinen Herzschlag. In der Zeit strich mir Liam über das Haar.
Ich seufzte zufrieden, worüber er lächelte. Der Nachmittag hätte ewig dauern können. Ich schloss meine Augen und döste etwas ein. Während jegliches Zeitgefühl irrrelevant war, wurde ich irgendwann von einen merkwürdigen Geruch geweckt. Verwirrt setzte ich mich auf und sah, das auch Liam eingeschlafen war. Mein Blick war verschwommen, doch schlagartig war ich hellwach, was sich
vor uns abspielte: Stroh, das quer über den Boden verteilt lag, und das auch am Eingang!, stand in Flammen!
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