Sonntag, 19. August 2012

Kapitel 20

Auch wie unten im Wohnzimmer waren hier fast alle Möbel verschwunden. Der Boden bestand aus Holz und war sehr staubig. Gardinen, die früher mal weiß waren, hingen nun in grauen Lappen an den Fenstern herunter. Mein Blick fiel auf die Wand daneben, die mit Fotos und kleinen Notitzzettelchen beklebt war. Ich trat näher heran, um sie besser sehen zu können. Liam hatte tatsächlich Recht, das sie früher einmal eine Clique gewesen waren. Ein Gruppenbild auf dennen alle lächelten, ja sogar Liam, zeugte davon. Dann erblickte ich ein anderes Foto, was Cathrin und einen jungen Mann zeigte. Ob das Vincent war? Beide sahen auf dem Foto sehr vertraut aus. Etwas weiter rechts von meinen Blickfeld tauchte ein Zeitungsartikel auf. »Endete diese Nacht tödlich für sie?« lautete die Schlagzeile und ich konnte ein Bild von Cathrin erkennen. Ob Valerie es war, die den Artikel hier befestigt hatte? Doch was wollte sie damit bezwecken? Der mir fast vergessene, kalte Windhauch erfasste mich plötzlich. Erschrocken drehte ich mich um und konnte kaum fassen, was ich wenige Zentimeter vor mir sah. Es war der Junge auf dem Foto; Vincent. Zumindest glaubte ich das. Seine Haarfarbe war irgendwie verwaschen und auch seine Kleidung hing schlaff an ihm herunter. Meine Augen weiteten sich, wusste ich nicht, wie er auf meine Anwesenheit reagieren würde. Er sah mich mit einen kalten Blick an, unternahm aber nichts dergleichen, mir näher zu kommen. Ich brachte kein Wort heraus, denn es ergriff mich langsam die Panik, obwohl ich es doch mittlerweile gewöhnt sein musste, Geister zu sehen, oder? Ich drehte mich zur Tür um, und ich schwöre!, beim Betreten hatte ich sie offen gelassen!, war sie nun zu. Hektisch rannte ich zu ihr herüber, ohne den vermeindlichen Geist aus den Augen zu lassen. Ich rüttelte und zerrte an dem Türknauf. Doch er ließ sich nicht herumdrehen. Angstvoll schaute ich nach hinten und merkte, wie sich der Geist Vincents sich langsam veränderte. Gleich erscheint eine unheimliche Gestalt ,wie diese aus der Höhle!, dachte ich bei mir und versuchte weiter mein Glück mit dem Türknauf. Ich schrie auf, als plötzlich etwas meine Beine berührte und diese umschließen wollten. Ich begann, mit meinen Fäusten gegen die Tür zu hämmern und nach Liam zu rufen. Das musste sich doch alles nur um einen schrecklichen Traum handeln! Ich wollte hier schnellstens raus und gab mir alle Mühe, mich nicht mehr umzudrehen. Die Angst nahm mir beinahe die Luft zum atmen weg, ehe ich ein Klicken hörte und ich in die Arme von Liam fiel.

Keuchend lag ich in seinen Armen, die Augen fest zusammengekniffen. Ich klammerte mich förmlich an seinen Pullover und verharrte daran länger, als mir bewusst war. »Was ist denn passiert?« flüserte Liam und strich mir vorsichtig über das Haar. Nur mit großer Mühe und unter Schluchzen brachte ich einzelne Wortbrocken hervor. Langsam löste sich Liam von mir und fasste mich sanft an den Schultern. Ich schaute mit tränennassen Gesicht zu ihm hinauf. »Es wird alles gut. Hörst du?« Ich nickte, konnte seinen Worten aber kaum Glauben schenken. Alles darin war so abgrundtief real gewesen. »I-ich möchte hier weg. Bitte.« flehte ich leise. Ich ließ mich von ihm nach unten zur Tür führen und war dankbar über frische Luft. Meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an und mir kam es vor, als würde ich Geräusche durch Watte hören. Ich lehnte mich an die Beifahrertür und atmete ein paar Mal ein aus und aus. Liam stand vorsichtshalber neben mir; wohlmöglich befürchtete er, ich würde noch umkippen. Ich erholte mich langsam, machte aber keine Anstalten, in das Fahrzeug einzusteigen. »Wir können zurückfahren, wenn du willst.« schlug Liam vor und sah mich etwas besorgt an. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Wir waren doch eigentlich hier, um nach Hinweisen zu suchen, oder?« Ich schaute ihn mit einen schwachen Lächeln an. »Und dafür willst du abermals deine Gesundheit riskieren?« Ich lachte kurz auf. »Glaubst du, ich lande deswegen in der Anstalt?« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn du so weitermachtst... wer weiß?« »Es gibt sowieso kein Zurück mehr. Entweder komme ich da lebend heraus oder ...« Ich brach den Satz ab und schaute stattdessen in die Ferne. Liam kramte in seiner Hosentasche und hielt mir einen Zettel hin. »Damit es nicht so weit kommt, hätte ich hier etwas.«

Ich nahm die Zettel an mich und merkte schnell, das es sich dabei um Tagebucheinträge handelte. »Wo hast du die denn her?« fragte ich. »Aus Valeries Zimmer.« antwortete er und schaute mich prüfend an. In der Tat waren sie sehr nützlich; ließen sie doch einen neuen Mörder ins Licht rücken. Es handelte sich um die alltäglichen Probleme junger Erwachsener; Stress mit den Eltern, Liebe und Sehnsüchte, aber auch Hass und Eifersucht. »War Valerie eigentlich in Vincent verliebt?« harkte ich nach und schaute Liam neugierig an. Er dachte kurz nach. »Das wusste keiner so genau. Möglich wärs. Manchmal hat man den einen oder anderen Streit zwischen Cathrin und ihr mitbekommen.« War es etwa möglich, das Valerie ihre eigene Schwester aus Eifersucht umgbebracht hatte?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen