Sonntag, 19. August 2012

Kapitel 19

Äußert überrascht schaute ich in das Gesicht von Liam, das einen kleinen Anflug eines Lächelns zeigte. »D-Du bist schon entlassen?« rief ich überrascht, freute mich aber dennoch, ihn wiederzusehen. Er nickte. »Wir können sofort losfahren.« »Losfahren?« fragte ich verwirrt. »Wohin denn?« Grinsend tippte er mir mit einen Finger gegen die Stirn. »Valeries und Cathrins Familienhaus? Schon vergessen. An mein Versprechen kann ich mich noch gut entsinnen.« »Oh.« Ich errötete etwas, ehe mir wieder in den Sinn kam, das er tatsächlich sagte, er würde nochmal mit mir dahin fahren. Ich wollte gerade zustimmen, als ich ihm fragte: »Ist das überhaubt erlaubt?« Er schaute mich beinahe so an, als ob das die verrückteste Frage der Welt wäre. Er grinste; und das bedeutete nichts Gutes. Ich seufzte etwas. »Also nicht?« »Wenn wir uns nicht erwischen lassen...« Bei der Polizei hatte ich eigentlich nicht vor, nochmal zu landen. Ich nickte zögerlich und meinte, mir noch schnell etwas drüberzuziehen.

»Warum fahren wir dahin?« Liams Auto stand unmittelbar vor Tantchens Haus und wir stiegen ein. Es war übrigens ein anderes, als das, was er in der Nacht des Unfalls gefahren hatte. Dieses Modell war sah wesentlich älter aus, erfüllte aber ihren Zweck. »Und hey! Darfst du überhaubt Auto fahren!?« rief ich leicht besorgt, als ich die Tür öffnete. Liam zuckte mit den Schultern. »Sollte ich etwa nicht?« Ich blieb vor dem Sitz stehen. »Hast du nicht Angst? Oder so?« Also mir war etwas mulmig zumute, wieder in ein Auto zu steigen. Doch Liam schien das überhaubt nicht zu stören. »Nö. Willst du nun dahin oder nicht?« »Natürlich will ich dahin!« rief ich leicht verärgert. »Deine Unbekümmertheit... Mir gehts da ganz anders.« gestand ich schließlich. Doch auch das scheinte ihm nicht großartig zu kümmern. »Wir können gerne weiter darüber diskutieren, ob man nach einen Autounfall ne Phobie gegen Autos entwickelt oder du steigst jetzt einfach ein und hälst deinen Mund.« Ich wollte gerade etwas dagegen erwiedern, entschied mich aber dann doch für Letzteres; mich einfach reinsetzen. Es herrschte zunächst Schweigen. »Valeries Haus liegt etwas abseits von Sognefjord. Dessalb fahren wir hin.« beantwortete er meine vorherige Frage. Ich schaute aus dem Fenster.

Tatsächlich lag das Haus ziemlich abgelegen irgendwo am Waldrand. Der Weg war bereits zugewuchert und das Haus lag still vor uns. Wüsste man nicht, dass dies verlassen war, konnte man meinen, das Haus sei in einem schlechten Pflegezustand. Ein paar Dachziegel fehlten und der Putz brökelte schon an ein paar Stellen ab. Aber Gardinen hingen noch im Fenster, sowie eine weiße Bank vor der Eingangstür begrüßte seine Besucher. »Spürst du das auch?« fragte ich leise Liam, als wir den Weg entlang gingen. Der Wind frischte auf und ich erwartete jedem Moment, eine Gestalt im Fenster zu sehen. »Wird wohl am Friedhof liegen, mhmm?« fragte er und lief weiter. Mit klopfenden Herzen holte ich ihn ein und wir bewegten uns Richtung Eingang.

Die Tür öffnete sich mit einen Knarzen und wir traten ins Halbdunkle. Auch wenn Liam das Haus bekannt war, schaute er sich dennoch im Erdgeschoss um. Links von uns ging es hoch in den ersten Stock. Ursprünglich war die Treppe wohl weiß, doch nun blätterte sie ab. Geradeaus befand sich eine verglaste Tür, rechts von uns zwei andere Türen, einfache aus Holz. Liam bewegte sich auf die verglaste Tür zu, während ich ihm zögerlich folgte. »W-warte!« rief ich und wollte mich beinahe an ihn klammern. In diesem Haus war mir unwohl zumute. Dicht hinter ihm spähte ich in das Zimmer, was sich als Wohnzimmer herausstellte. Der Großteil der Möbel war entfernt wurden; der übrige Rest lag verstreut auf dem Boden. Ich quetschte mich an Liam vorbei und ging auf ein umgestoßnes Regal zu. Davor lag ein gesplitterter Fotorahmen. Vorsichtig hob ich es auf, damit ich mich nicht schneidete. Es zeigte eine verbleichte Fotografie einer glücklichen Familie, die nun zerissen war. »Kommst du weiter?« Ich drehte mich um, und sah, das Liam bereits am Treppenansatz stand. Behutsam legte ich das Foto wieder zurück und gig mit eiligen Schritten aus dem Zimmer. Bei jedem Knacken der Treppe zuckte ich zusammen, als ich diese betrat. Als wir oben standen, warf ich einen Blick zurück. Plötzlich kam mir der Höhenunterschied viel zu groß vor. »Das wäre da Cathrins Zimmer.« Liam deutete auf eine der insgesamt vier Türen. »W-Wo gehst du hin?« fragte ich unsicher. »Ins Nachbarzimmer. Hast du etwa Angst, in ihr Zimmer zu gehen?« Ein kleines Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. »Nein!« Ich schüttelte heftig den Kopf. Entschlossen ging ich auf die Tür zu und riss sie förmlich auf.

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