Sonntag, 19. August 2012

Kapitel 17

Am nächsten Tag war ich die ganze Zeit auf meinen Zimmer. Liebend gerne hätte ich etwas anderes getan, hatte mir das Personal jedoch verboten, mich aus meinen Zimmer zu bewegen. Die einzige Abwechslung waren die Tests, die sie an mir durchführten, um nochmal sicher zu gehen, das alles in Ordnung war. Dazwischen füllte ich den Großteil der Zeit mit aus dem Fenster starren oder an Drahti rumzuspielen. Ein wenig hing ich auch den Gedanken nach, wie es Lima ging. In mir kribbelte es gewaltig wenn ich an ihm dachte und schon bald musste ich es mir eingestehen, das ich mich in ihn verliebt hatte. Wie er wohl zu mir stand...? Es klopfte an der Tür und eine Krankenschwester mit Essen kam herein. Ich konnte es ehrlich gesagt nicht erwarten, aus dem Krankenhaus raus zu sein. Das Essen war ... nahe an der Grenze der Ungenießbarkeit. Lächelnd nahm ich es entgegen, tat so, als würde ich einen Löffel nehmen und ehe sie draussen war, stellte ich es schnell beiseite. Ich schaltete den Fernsehen ein und ließ meine Gedanken weiter treiben. Es war bereits dunkel draussen und mir fielen die Augen zu.

Am nächsten Morgen bekam ich das letzte Mal Besuch von einen der Oberärzte. Neben Fachchinesisch, das ich nicht verstand, wünschte er mir Alles Gute. »Darf ich Drahit mitnehmen?« fragte ich mit Glitzeraugen und deutete auf das Gestell. Der Oberarzt schaute mich verwirrt an. »Das da...? Ähm... Normalerweise nein...« »Aber bei mir könnten Sie doch eine Ausnahme machen, oder?« Flehnd schaute ich ihn an und ergriff Drahti. »Ohne das Teil will ich nicht nach Hause.« rief ich trotzig und ließ mich aufs Bett fallen. »Schon gut, schon gut.« Er wirkte verlegen. »Nehmen Sie es ruhig mit.« Vor Freude sprang ich auf. »Danke, danke, danke, danke... Ich kann mich gar nicht genug dafür bedanken.« Schwungvoll nahm ich meine Tasche und lief freudenstrahlend aus dem Zimmer. Einen kurzen Moment drehte ich mich nochmal um und sah in das verdutzte Gesicht des Arztes.

Ich stand vor dem großen Gebäude und schaute mich um. Es war kälter geworden und ein eisiger Wind wehte mir entgegen. Ich merkte, wie Besucher des Krankenhauses mich komisch musterten. Die meisten ignorierte ich, weil ich damit beschäftigt war, wie ich heim kommen sollte. Anderen wiederrum, besonders älteren leuten winkte ich sogar freundlich zu. »Darf ich erfahren, warum Sie das mit sich rumtragen?« sprach mich eine ältere Dame mit einen dunkelroten Hut an. »Es ist mir sehr ans Herz gewachsen.« Einen Augenblick schaute sie noch verwirrt drein, ehe sie mir einen schönen Tag wünschte und hineinging. »Laurie!« hinter mir hörte ich eine Stimme und Tantchen kam eilig auf mich zugelaufen. »Beinahe hätte ich es vergessen, dich heute abzuholen!« Sie umarmete mich herzlich. »Wartest du schon lange in der Kälte?« Ich schüttelte mit den Kopf. »Keine Sorge. Ich hatte mir schon Gedanken gemacht, wie ich heim komme.« Tantchen schaute über meine Schulter auf das Drahtgestell. »Wo hast du das denn her?« Ich grinste sie zufrieden an. »Das ist Drahti. Habe ich geschenkt bekommen.« Auch Tantchen schüttelte irretiert den Kopf. »Komm mit zum Auto. Daheim habe ich etwas leckeres gekocht.« »Wirklich?« Wir liefen den Weg zum Auto entlang. »Das freut mich total. Das Essen hier hat mir überhaubt nicht geschmeckt.«

»Laurie! Besuch ist für dich da!« rief Tantchen am nächsten Tag. Und es war erst halb neun! Waren das etwa schon Vivian und Aaron? Schlaftrunken stand ich im Bademantel eingewickelt vor ihnen. »So früh schon?« murmelte ich. »Man kann nie früh genug aufstehen.« Aaron wollte meinen Arm fassen, doch ich zog sie schnell zurück. Mein Puls beschleunigte etwas. »D-Darf ich mir vorher noch was anziehen?!« fragte ich leicht verärgert. Beide zuckten mit den Schultern. Ich lief hastig nach oben. »Beeil dich aber!« rief Vivian hinter mir her. Zehn Minuten später stand ich vor beiden. Ich hatte wahhlos in meinen Koffer nach Klamotten gegriffen und mir eine Jacke angezogen. »Wie wärs mit einen Mantel? Hier oben wird es bei uns kalt.« schlug Aaron vor. »Ein schwarzer oder weißer würde dir ausgezeichnet stehen.« pflichtete Vivian ihn bei. Wir fuhren mit dem Bus in das Zentrum der Kleinstadt. Vivian plapperte fröhlich über die neusten Modetrends, während Aaron und ich zuhörten. Mehr oder weniger. »Sie kann sehr viel über das Thema reden.« whisperte er mir zu. »Zum Glück sind wir gleich da.« erwiederte ich etwas lächelnd. Zum Glück trennten uns beide eine Sitzlehne. Wir stiegen aus und sahen zahlreiche Menschen, die zwischen den Häusern Weihnachtsschmuck aufhingen. Es wurden Befehle zugerufen und verschiedene Lastwagen fuhren vor. Dazwischen waren immer wieder Menschen, die in den Schaufenstern nach den ersten Geschenken Ausschau hielten. »Hier ist ja fast so viel los wie bei uns.« stellte ich fest und schaute mich um. »Zu der Jahreszeit völlig normal. Ich schlage vor, wir gehen gleich ins größte Einkaufszentrum.« schlug Vivian vor und zog uns beide mit sich.

Wir verbrachten schöne Stunden in den Läden, bis wir uns in einen Café niederliesen. Es befand sich im dritten Stockwerk und man konnte auf den Bürgersteig sehen, um Leute zu beobachten. Vivian hatte mich dann doch überzeugt, einen ordentlichen Mantel zu kaufen. Weiß gefiel mir am besten. »Was ist das denn da?« Neugierig schaute Vivian aud das in Organzebeutel-eingepackte Etwas. Ich errötete etwas. »Habe ich für Liam gekauft.« antwortete ich schnell und kramte in meiner Tasche. Vivian begann zu grinsen, und kurz darauf fing Aaron an zu lachen. »Wie süß. Ihr seid jetzt wohl zusammen, mhmm?« vermutete sie. Ich schüttelte schnell den Kopf. »N-Nein. Äh... Es soll einfach ein Genesungsgeschenk sein.« Und das sollte keine Ausrede sein. Heute hatte ich eigentlich vor, Liam zu besuchen. Er müsste bald entlassen werden. Ich konnte es kaum erwarten, zu Valeries Elternhaus zu kommen. »Sagt mal...« fing ich an. »Hat Valerie eigentlich noch ihre Eltern?« Vivian und Aaron schauten verdutzt auf, während er seinen Muffin beiseite legte. »Wie kommst du denn jetzt darauf?« fragte Vivian und verengte etwas ihre Augen. Ich hatte wohl ein pikantes Thema angesprochen. Doch ich zuckte mit den Schultern und versuchte, so gelassen wie möglich zu klingen. »Es interessiert mich einfach. Und? Wisst ihr etwas?« Beide tauschten einen vielsagenden Blick aus. »Nein. Ihre Eltern sind bereits verstorben. An einer natürlichen Krankheit oder so. Nicht, das du glaubst, sie hätten sich umgebracht.« erklärte Vivian und nippte vorsichtig an ihren Tee. »Und lebten sie hier in Sognefjord?« Ich bewegte mich auf dünnen Eis und formulierte meine Fragen vorsichtig. Immerhin hatte es indirekt mit den Mordfall zu tun. Was wussten beide genau? Ich sah, wie sich Aarons Augen leicht verengten, während Vivian nachdenklich in ihre Teetasse schaute, die sie abgestellt hatte. »Das Haus steht seid Jahren leer. Man sagt, am angrenzden Friedhof kann man manchmal die umherirrende Seele von Cathrins Verlobten Vincent sehen.«

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