Als ich im Krankenhaus erwachte, spürte ich das erste Mal, in Sicherheit zu sein. Die Vorhänge udn das Zimmer schienen mir so vertraut. Ich drehte mich auf die Seite und sah, das Liam auf einen Stuhl saß, den Kopf auf seine Arme gebettet; er schlief.
Auf Zehenspitzen stand ich auf und ging zu ihm herüber. Vorsichtig strich ich ihn übers Haar und lächelte. Ganz langsam kniete ich mich auf Augenhöhe und betrachtete ihn näher. Die Brandwunden waren nach wie vor da, doch er war für mich der schönste Mensch auf der Welt.
Ich wollte mich gerade wieder umdrehen, als Liam nach meiner Hand griff. Unbeweglich blieb ich stehen und sah, wie er die Augen aufschlug. »Ich dachte, du schläfst.« rief ich leicht verwundert. Jetzt huschte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht. »Ich habe gespürt, das du neben mir stehst.«
Auch ich lächelte wieder und ging auf ihn zu, um ihn einen kleinen Kuss auf die Stirn zu drücken. »Danke.« murmelte ich, während ich ihn umarmte. Wir verharrten eine ganze Weile in dieser Position.
Wie ging es eigentlich weiter?
Man sagte mir, nachdem man Aaron verhaftet hatte, das ein Suchtrup sich in die Höhle vorgewagt hatte, um die Leiche von Cathrin zu finden. Zumindest, was davon übrig war. Ich war selbst nicht dabei, doch durch Mundpropaganda erfährt man so einiges. Liam lud mich nach meiner Entlassung in ein Café ein.
Er meinte, er würde mir dann alles erzählen. Von Anfang an. Oder wenn ich irgendwelche Fragen hätte. Und das hatte ich! Am Vormittag holte er mich von Tantchens Haus ab und wir gingen Hand in Hand durch die Stadt. Auch wenn es schneite und eisige Temperaturen herrschten, war mir warm. Auf den Weg zum Café
redeten wir kaum. Schweigend betrachtete ich den Boden unter mir und hörte dem Lärm der Stadt zu. Im Caféinneren war es schön warm und wir nahmen an einem Fenster Platz. Ganz gentlemanlike half mir Liam aus meinen Mantel und wir bestellten uns warme Getränke. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, wo ich anfangen sollte.
»Wie bist du aus der Scheune herausgekommen?« fragte ich schüchtern und senkte meinen Blick. »Ich entdeckte ein Fenster, das gerade großgenug war, damit ich durchpasste. Doch zunächst wollte ich sicher gehen, das dir nichts geschah. Es war reines Glück, das ich es gefunden hatte. Ich glaube, in dem Moment hatte ich mit allen schon abgeschlossen.«
Erschrocken schaute ich hoch. »Aber glücklicherweise hast du überlebt!« Er nickte. »Aber warum bist du dann untergetaucht?« fragte ich weiter. »Ich hielt mich wieder im Elternhaus von Valerie und Cathrin auf.« Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich an die Szene im Zimmer zurückdachte, ließ mir aber nichts anmerken. »Ich wollte sicher gehen, das nicht nocheinmal ein Mordanschlag verübt werden könnte, wenn man glaubte, ich sei tot.« »Stimmt es eigentlich, das Valerie auch in Vincent verliebt war?« Mit einen erneuten, leichten Schauern erinnerte ich mich an die Worte von Aaron. »Ja. Da gab es sogar ein Foto von den Beiden. Niemand wusste so genau, ob tatsächlich etwas zwischen den beiden lief, doch Cathrin war rasend vor Wut. Sie drohte Vincent, die Hochzeit abzublasen. Daraufhin wendete sich Vincent von Valerie ab und ignorierte sie beinahe vollkommens.
Natürlich war Valerie darüber sehr verbittert. Sie hasste beide und konnte ihnen das Glück nicht ganz gönnen.« Traurig schaute ich drein und stellte mir all das vor. Doch es ging noch weiter. »Wo ich einmal mit Valerie zusammen war, rein freundschaftlich versteht sich, meinte sie zu mir, manchmal würde sie sich wünschen, ihre Schwester wäre tot. Sie beneidete sie um ihren Erfolg, während sie selbst nicht so viel Glück hatte. Es war nicht so, das Valerie bei den Männern nicht beliebt war. Im Gegenteil, ihr Problem bestand nur darin, das sie
ihre Gefühle einfach nicht zulassen konnte. Eine Beziehung war bei ihre schneller beendet als man denken konnte und das sprach sich rum.« »Und irgendwann wollte niemand mehr so richtig mit ihr zu tun haben?« riet ich. In der Zwischenzeit kam eine Kellnerin und brachte uns die dampfenden Getränke. Liam nickte. »Valerie zog sich immer mehr zurück und nahm kaum noch an irgendwelchen Ausflügen der Clique teil. Zu sehr konnte sie den Anblick von Cathrin und Vincent nicht ertragen. Der Schock bei ihr war umso größer, als sie erfuhr, das Cathrin verschwunden sei.
Sie kam zu mir und meinte, sie hätte schreckliche Angst, das ihr etwas zugestoßen sei. Ihre Drohung von neulich hätte sie nie ernst gemeint.«
Eine kleine Pause entstand und wir nippten schweigend an unseren Getränken. »Und nachdem man Cathrin für tot erklärt hatte, wurde nur noch alles schlimmer, oder?« fragte ich. »Schon vor der Verhandlung gab sie sich immer wieder die Schuld an den Tod ihrer Schwester. Als sie dann auch noch erfuhr, das auch Vincent sich umgebracht hatte, brachen bei ihr alle Dämme. Ich war nicht dabei, als man sie mit aufgeschlitzten Pulsadern und irgendwelchen Drogen fand. Sie kam zunächst ins Krankenhaus, wo sie nur knapp überlebte. Danach überwies man sie sofort in die Anstalt.«
Den Rest kannte ich ja mehr oder weniger. Doch etwas beschäftigte mich dann doch noch. »Warum ist sie dann an den einen Tag so ausgeflippt? Ich habe immer noch das Gefühl, das sie mich nicht leiden kann.« gestand ich. Liam ergriff nach meiner Hand, die bisdahin auf dem Tisch ruhte, und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, doch Valerie hasst dich ganz bestimmt nicht. Sie hatte einfach nur ... Angst.« »Angst? Vor was denn?« Ich schaute ihn verwundert an. »Du hast genau die gleiche Augenfarbe wie ihre Schwester. Auch wenn es irrsinnig klingt, und ich
glaube nicht so ganz an Reinkarnation, dachte sie wohlmöglich, Cathrin sei zurückgekehrt um sich an ihr zu rächen.« Das ergab für mich einen Sinn, auch wenn es verrückt klang.
Meinen Tee hatte ich fast ausgetrunken und ich bestellte mir mir noch einen. Mir war leicht schwindlig von all den Informationen, doch ich wusste längst noch nicht alles.
»Woher wusstet du, das ich in der Höhle war?« Dabei versuchte ich so gut es ging, die Bilder aus meinen Gedächtnis zu drängen. Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf die Teeoberfläche. »Vivian hat die Polizei verständigt. Sie wurde auch festgenommen.«
Erneut schaute ich Liam überrascht an. »Warum wurde sie denn verhaftet? Sie hat doch mit dem Mord gar nichts zu tun.« Liam schüttelte den Kopf. »Das kann man so nicht sagen. Ich vermute, sie wusste von den ganzen Aktionen, die Aaron angestellt hatte. Selbst den Mord an Cathrin.« Meine Augen weiteten sich. Das konnte doch unmöglich stimmen!
»Vivian hat Aaron die ganze Zeit gedeckt und versuchte so gut es ging, den Schein zu wahren, er sei an nichts Schuld. Doch mit dem Wissen hat sie sich selbst mitschuldig gemacht.« Jetzt verstand ich auch, warum sie es verhindern wollte, das ich Aaron bei unserer ersten Begegnung bei der Polizei anzeigte... »Und bei der Feier...?« hakte ich weiter nach.
Liam zuckte mit den Schultern. »Sie wusste, was Aaron vorhatte und bekam wohlmöglich ein schlechtes Gewissen, das sich nocheinmal das gleiche Drama abspielen würde. Nachdem du verschwunden warst, verständigte man die Polizei. Und ich war auch in der Nähe...« Ein Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. Ich knuffte ihn in die Seite, war aber insgeheim froh, das er gekommen war, und mich rettete.
»Wie geht es nun weiter?« fragte ich und schaute ihn nachdenklich an. Liam schützte sein Kinn auf seiner Hand ab und schaute nachdenklich aus dem Fenster. »In ein paar Tagen ist die Trauerfeier von Cathrin. Sie wird im Mausoleum beigesetzt. Ich habe gehört, auch Valerie soll anwesend sein.« »Geht es ihr denn jetzt besser?« fragte ich vorsichtig nach. Liam drehte sich wieder zu mir um.
»Den Umständen entsprechend. Aber sie mach Fortschritte. Ich bin mir sicher, in ein paar Monaten kann sie in eine Tagesklinik überwechseln. Wenn alles klappt.« Wir saßen noch eine ganze Weile im Café. Die Atmosphäre war zu schön, um fortzugehen.
An einem Dienstag fand dann die Trauerfeier statt. Ich ging auch hin, wie viele andere aus Sognefjord. Neben vielen unbekannten Gesichtern konnte ich aber immer wieder Leute ausmachen, die ich kannte. Und Liam hatte Recht behalten, als ich tatsächlich wenige Meter vor mir Valerie sah. Ihr eisblaues Haar hebte sich von den dunklen Outfit ab, was sie trug.
Zunächst traute ich mich gar nicht, sie anzusprechen. Zu groß war einfach die Furcht, wie sie auf mich reagieren würde. Doch als ich Liams Hand auf meiner Schulter spürte und mich anlächelte, glaubte ich, stark genug dafür zu sein. Ich trat neben sie und hielt meinen Blick zunächst gesenkt. Auch jetzt fiel es mir schwer, die passenden Worte zu finden. Doch ich musste gar nicht anfangen.
»Danke für alles.« rief Valerie neben mir, den Blick geradeaus gerichtet. Ihre Miene war wie immer emotionslos, doch jagten mir ihre Augen jetzt nicht mehr so doll einen Schrecken ein. Ich nickte und antwortete: »Ich bin froh, das der Mord aufgeklärt wurde.«
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