Mittwoch, 17. April 2013

Kapitel 72

»Dann schlage ich vor, das ich dich die nächsten Tage zum Essen einlade.« Laurie schaute verwirrt drein. »Ausgehen? Zum Essen? Das ist unmöglich.« »Was ist daran unmöglich?« Jetzt war es Liam, der sie verständnisslos anschaute. Laurie ging vom Fenster weg, Richtung Tür. »Das ist alles gar nicht so einfach, weil...« »...Weil?« Liam zog eine Augenbraue hoch. Wieder schüttelte sie mit dem Kopf. »Zion sieht das nicht so gerne, wenn ich mich draussen aufhalte. Überall könnten Gefahren lauern...« Liam tat ein paar Schritte in ihre Richtung. »Welche Art von Gefahr?« Ihm beschlich ein ungutes Gefühl. »Wirst du etwa bedroht?« Laurie schüttelte zögerlich den Kopf. »Ich weiß nicht so genau. Über soetwas spricht niemand mit mir.« Sie verstummte und wendete sich schließlich zur Tür zu. Sehnsüchtig schaute Liam Laurie an, und hoffte auf eine Antwort. Aber es kam nichts zurück. Nur das zufallen der Tür ins Schloss hallte in seinen Ohren.

Die Tage zogen sich dahin. Laurie hatte sich bis dahin kein einziges Mal mehr bei Liam sehen lassen. Insgeheim hoffte er, das ihr nichts passiert war. Immer wieder fragte er sich, vor was sie da draussen Angst haben könnte. Auch in der Nacht fand er kaum Schlaf. Auch wenn das Fenster tagsüber geschlossen war, war es in dem Raum immer noch sehr warm. Mit verschränkten Armen lag Liam auf seinen Bett und starrte ins Halbdunkel. Immer und immer wieder ließ er Szenen von Laurie und ihm in seinen Gedanken abspielen. Er wurde je unterbrochen, als die Türklinke nach unten gedrückt wurde. Regungslos blieb Liam liegen und tat so, als würde er schlafen. Ein Auge richtete er dabei auf die Tür. Die Gestalt, die nicht sehr groß war, trat in das Zimmer und blieb mitten im Raum stehen. Ein schmaler Lichtstrahl durchzog den Raum. Noah konnte es kaum sein, geschweige denn von einen der anderen Muskelpaketen. Vielleicht Verdiana oder gar Laurie...? Angespannt wartetet er ab, bis sich die Person ihn näherte. Leise, tapsende Geräusche waren zu vernehmen. »Liam?« Er erkannte die Stimme sofort, die seinen Namen flüsterte. »L-Laurie? Was machst du denn um diese Uhrzeit hier?« Langsam richtet er sich auf und erkannte sie immer deutlicher. Sie trug ein langes, mehrschichtiges Kleid und war barfuss. Langsam trat sie an Liams Bett heran und beugte sich weit nach vorne. »Lass uns rausgehen.« flüsterte sie, als könnte sie jemand hören. Einen Moment war Liam verwirrt. Hatte sie sich nicht wenige Stunden zuvor davor gesträubt, nach draussen zu gehen? Mehr verriet Laurie nicht, denn sie ging schon herüber zum Fenster und schob den Riegel zurück. »Komm, für Erklärungen bleibt keine Zeit.« rief sie ihm zu, und stand schon mit einen Fuß auf dem Fensterbrett. Nun kam auch Liam auf die Beine. »Kannst du mir um Himmel willen sagen, was du vorhast? Ohne Schuhe...?« Doch Laurie ignorierte seine Fragen und war schon fast draussen. Glücklicherweise war der Abstand zwischen Fenster und Boden nicht so hoch, dennoch konnte Liam Lauries Taille gerade noch rechtzeitig umfassen, damit sie nicht voreilig nach draussen stürzte. »Hey, was soll das?« rief sie verärgert und schaute ihn mit erregten Augen an. Überraschenderweise legte sie eine erstaunliche Kraft zu Tage, als sie sich aus seinen Griff befreien wollte. »Sag mir endlich, was du vorhast!« verlangte Liam und hielt sie immer noch fest. »Du wolltest doch nach draussen, oder? Und eine andere Möglichkeit gibt es nicht, ausser dem Garten.« Liam lockerte seinen Griff etwas, ließ aber Laurie nicht ganz los. »Und wo willst du nun hin? Mitten in...?« Er kam gar nicht zu Wort, als ihn Laurie unvermittelt einen Kuss entgegenhauchte. Diese winzige Berührung entfachte ein Feuer, in Beiden, und der zweite Kuss folgte sekundenspäter. Der Moment, nach dem sich Liam so lange gesehnt hatte. Konnte die Zeit nicht still stehen? Nur langsam lösten sie sich voneinander, und eine lauwarme Brise strich durch Lauries offenes Haar. Liam umfasste eine ihrer Haarsträhnen und schaute ihr tief in die Augen. Liam glaubte, es bräuchte keine Worte, um zu beschreiben, was in ihnen vorging. Ja, er glaubte sogar daran, das sich Laurie an ihr frühreres Leben erinnern würde. »Dann lass uns gehen.« flüsterte er ihr zu und umfasste ihre Taille, damit sie gemeinsam auf den Boden sprangen. Beide lauschten einen Moment, ob sie jemand entdeckt hatte. »Gibt es hier irgendwelche Bewegungsmelder?« Laurie überlegte kurz, schüttelte dann aber zögerlich den Kopf. »Ich glaube nicht. Sooft war ich ja nie draussen.« Etwas beschämt schaute sie zur Seite. Liam umfasste ihre Schulter. »Dafür musst du dich nicht schämen. Nun bist in Freiheit.« Ein schwaches Lächeln brachte sie zustande. In breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Allerdings konnte sie nicht genau sagen, woher es rührte.

Die Dunkelheit und die vielen Bäume boten genug Schutz, um sich unaufällig zur Mauer zu schleichen. »Kommen wir da überhaubt hoch?« fragte Laurie zweifelnd und schaute nach oben. Der Mond schien in seiner vollen Pracht und spendete das benötigte Licht. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« Liam machte sich daran, an der Mauer hochzuklettern, die mindestens einen halben Meter höher war, als er selbst. An der rauen Mauer riss er sich seine Fingernägel sowie Haut auf, als er hochkletterte. Als er endlich oben war, rief er zu Laurie: »Nimm meine Hände und ich zieh dich dann hoch.« Ungläubig schaute sie ihm in die Augen. »Bist dur dir da sicher? Nicht, das ich dir zu schwer bin und du zu schwach...« Ungeduldig seufzte Liam. »Wenn du dir noch weiter Sorgen machst, kommen wir hier nie raus. vertrau mir einfach.« Laurie nickte und umfasste seine Hände. So gut es ging, versuchte sie dabei, das Gewicht möglichst gering zu halten. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten es Beide geschafft und sie saßen schnaufend auf der Mauer. »Ein Wunder... das uns noch keiner entdeckt hat.« rief Laurie erleichtert und lehnte an seiner Schulter. »Hoffen wir, das es auch so bleibt.« antwortete Liam und streichelte ihren Arm. Noch einen Moment schauten sie zum Mond hinauf, ehe Liam sie wieder um die Taille umfasste, und nach unten sprang. Diesmal war der Aufprall deutlich härter und schmerzvoller. »Hast du dir nicht wehgetan?« erkundigte sich Liam sofort und hielt Laurie immer noch fest umschlungen. Diese nickte. »I-ich glaub schon.« brachte sie hervor. »Mach dir darum keine Sorgen.« lächelte sie tapfer und richtete sich langsam auf, um den Schmutz von ihren Kleid zu streichen. Der Boden war ziemlich steinig und Schuhe hatte Laurie in der Zwischenzeit immer noch nicht an. »Warum hast du dir keine Schuhe mitgenommen?« fragte wieder Liam und sah auf ihre Füße. Unschuldig drehte sich das Mädchen um. Der Mond war seltsame Schatten auf ihr Gesicht. »Ich brauche doch gar keine mehr.« Weiter ging sie darauf nicht ein, und nun stieg in Liam ein ungutes Gefühl auf. »Wir müssen ja in kein pickfeines Restaurant gehen.« rief Laurie nach einer Weile und ergriff von sich aus, Liams Hand. »Hauptsache, wir kommen hier weg.« Mit den Worten setzte sie sich in Bewegung, weiter Richtung Straße, die endlos schien. Auch wenn der Weg ziemlich düster war, konnte man am Horizont die Lichter der Stadt sehen. Liam wollte laurie so viel fragen, doch er brachte keine der Worte über seine Lippen. Stattdessen liefen sie Händchen-haltend den Weg entlang. Nach etwa einer Stunde kamen sie an, während um sie herum die Autos fuhren und vereinzelt ein paar Menschen unterwegs waren. Instinktiv umfasste Laurie, Liams Hand fester. Für sie waren all die Eindrücke so neu. Immer wieder sah sich um und konnte es kaum glauben, das sie es bis hierher geschafft hatte.

Ihr Weg führte duch hell erleuchtete Straßen oder dunkleren Wegen. Von weiten sahen sie eine große Leuchtreklame, die auf einen Imbiss hindeutete. »Wenn du willst, können wir hier uns etwas holen.« Laurie bleib vor dem Fenster stehen und schaute vorsichtig hinein. Auch Innen war es hell erleuchtet, doch die Einrichtung wirkte kunterbunt zusammengewürfelt. Liam sah ebenso hinein, doch er zweifelte etwas daran, ob dass das Richtige war. Die Gestalten, die sich darin aufhielten, sprachen ihre eigene Sprache (und Fäuste...). Ehe er etwas dagegen sagen konnte, trat Laurie schon entschlossen ein und sah sich um. Liam folgte ihr sofort. Der Mann an der Theke mit einen etwas ungepflegten Äußeren und einige der Gäste schauten zu den Beiden herüber. Dabei konnte man beobachten, das ihre Blicke auch zu Lauries nackten Füßen wanderte. Doch sie schien es nicht zu stören. Im Gegenteil, suchend schaute sie sich nach einen freien Tisch in einer Ecke um und ging darauf zu. Die Auswahl in der Speisekarte war bescheiden, doch es genügte Beiden vollkommen. Es dauerte allerdings ewig, bis jemand von der Bedienung kam. Sie bestellten sich eine große Portsion Pommes. »Ich erinnere mich gar nicht mehr daran, wann ich das letzte Mal sowas gegessen habe.« scherzte Laurie, als ihre Bestellung kam. War dies ein gutes Stichwort, um auf ihre Amnesie zurückzukommen? Liam hielt sich vorerst bedeckt. Er fragte sich allerdings, wie es weitergehen sollte. Wie lange war er noch ein Gefangener? Oder war er bald tot? Und Laurie? Was wurde aus ihr? Plötzlich erschien ihm die traute Zweisamkeit so furchtbar zerbrechlich. Vorsichtig umfasste er eine von Lauries Hand, was sie überraschenderweise mit einen Lächeln quittierte. Hatte sie nun endlich Vertrauen zu ihm gefasst?

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