Sonntag, 18. November 2012

Kapitel 64

Ungläubig riss Liam die Augen auf. Machte Noah da Scherze? »D-Das kann nicht wahr sein.« stammelte er und schaute ihn ungläubig an. Seine Finger krallten sich in die Matraze. »Ich werde da nicht hingehen!« rief er entschieden und drückte sich mit seinen Rücken gegen die Wand. Nicht nocheinmal würde er in den Knast wandern. Und nicht ehe wollte er ruhen, als das er Laurie endlich gefunden hätte. Noah packte ihm am Handgelenk und erneut befand sich Liam in einer Situation, in der er ihm unterlegen war. »Ich kann dich auch gewaltsam hier rausbringen, wenn dir diese Methode lieber ist.« sprach er mit ernster, fester Stimme. Liams Herz raste. Und er konnte sich auch nicht ein schlucken verkneifen, was seine Nervösität offenbarte. Nein, er wollte sich nicht ausmalen, welche Methoden Noah wohl anwenden würde. Schließlich willigte er mit einen zögerlichen Nicken ein. »Aber ich kann wohl unmöglich in diesen Aufzug da erscheinen.« wandte er ein und deutete auf seine Kleidung. Auf Noahs Lippen erschien ein geheimnissbolles Lächeln. »Lass das nur meine Sorge sein.« Mit diesen Worten ließ er das Handgelenk von Liam los und stand auf. »Ich bin in ein, zwei Stunden wieder zurück. Bis dahin kannst du tun und lassen was du willst.« Mit diesen Worten verschwand er aus den Raum und Liam war wieder allein. Er ließ seinen Kopf gegen die Wand fallen und betrachtete das Holz an den Wänden. Eine kühle Brise kam herein und er schloss die Augen. Sein Leben ist in den letzten Wochen zu einen einzigen Chaos herangewachsen. Das Schlimmste daran war, das er nicht wusste, wie er Laurie gegenüber treten sollte, wenn er sie je finden würde. Es würde nicht mehr wie früher werden und die Zeit ließe sich nicht zurückdrehen. Ihm fiel die Akte wieder ein, die er mitgenommen hatte und schaute sich suchend danach um. Sie lag unmittelbar neben den Bett und Liam begann erneut, darin umzublättern. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und es kostete ihn sichtlich Mühe, die Seiten umzublättern. Jedes kleinste Detail aus Lauries Leben konnte er nachlesen. Und im Nachhinein fühlte er sich, als hätte er ihre Privatsphäre überschritten. Eiligst legte er den Ordner beiseite und fuhr sich über die Haare. Er hatte gehofft, das er einen Hinweis über ihren momentanen Aufenthaltsort finden würde. Doch ausser, das sie lebte, fand er nichts darüber. Weitere Gedanken schossen ihn durch den Kopf und er fragte sich, was Noah bei der Polizei wollte. War es wohlmöglich doch eine Falle gewesen?

Viel Zeit blieb ihm nicht, zu fliehen. Noah würde in ein oder zwei Stunden wieder zurücksein. Es war wieder einer dieser komplett irrwitzigen Pläne, die Liam in den Sinn kam. Eigentlich wusste er nicht, wo er hingehen könnte, doch er wollte hier raus. Und zwar sofort. Das Risiko, das jemand ihn erkennen könnte, musste er eingehen. Und wenn es jetzt nicht klappte, würde es überhaubt gar keine Chance mehr geben. Liam nahm nichts mit. Weder Medikamente noch das Verbandszeug. Er vertraute ganz allein darauf, das er es schon irgendwie mit der Verletzung schaffen würde. Und wenn er sich dafür die Zunge abbeißen müsste... Ein letzter Blick in den Raum und er suchte nach der Eingangstür. Diese war glücklicherweise nicht zugeschlossen oder so. Nein, die ganze Tür an sich war aus den Angeln gerissen und lehnte an der Wand. Liam musste nur noch über den Haufen Schutt darübersteigen. Gegenüber von ihm befand sich eine zweite Wohnungstür und links daneben ging eine Treppe in die nächsten Stockwerke darüber. Sehr gut, das er sich im Erdgeschoss befand. Der Flur war beinahe stockfinster und er kam nur langsam vorran. An das Gefühl, mit nackten Füßen in etwas hineinzutreten, hatte er sich schon längst gewöhnt. Doch er musste sich an der Wand vorrantasten, um zum Eingang zu kommen. Zwischenzeitlich machte er immer wieder Pausen, um sich auszuruhen. Vielleicht hätte er doch ein paar Schmerzmittel mitnehmen sollen. Aber umkehren wollte er nicht mehr. Als Liam endlich den Türknauf ertasttete, zog er daran und die Tür ging überraschenderweise leicht auf. Er erwartete einen Gehweg und parkende Autos, doch stattdessen war am Hintereingang herausgekommen. Besser hätte es nicht laufen können. Der Garten vor ihm, wenn man es als solchen bezeichnen konnte, war verwildert. Nur ein verrostetet Kleiderständer, oder das, was davon übrig geblieben war, zeugte von Anwesenheit der ehmaligen Bewohner. Dahinter erstreckte sich ein niedriger Zaun mit einen kleinen Wäldchen? Liam war sich dessen nicht ganz sicher, doch es bot zunächst aureichend Schutz. Oder es ist ein riesiger Park... dachte er und ging auf den Zaun zu, um darüber hinwegzuklettern. Er hatte erwartet, selbst bei so einen kleinen Hinderniss würde seine Wunde ihn einen Strich durch die Rechnung machen. Doch erstaunlicherweise hielt es sich in Grenzen. Einen kurzen Sturz auf den Boden ließ sich dennoch nicht vermeiden. Liam roch das Laub und die Erde unter ihm. Und erneut wurde ihn bewusst, das er frei war. Er hätte ewig da liegen bleiben können. Doch er musste weiter, damit Noah ihn nicht entdeckte. Es gab keine Gefühle für ihn. Sie rührten nur als verweifelter Ersatz für Laurie her. Schnell schob er den Gedanken beiseite. Darüber konnte er weitergrübbeln, wenn er in Sicherheit war. Auch die Mappe hatte er zurückgelassen und sich so viel möglich gemerkt. Zu gern hätte er ein Foto von ihr mitgenommen. Doch er hatte keine Tasche, in der er es hätte verstauen können. Er musste mit den Erinnerungen, die ihm geblieben waren, vorlieb nehmen.
Sein Weg bahnte sich weiter durch Gestrüpp und Unterholz. Bisher hatte er noch keine Menschenseele gesehen. Und er merkte, das sie Wärme der Sonne schwächer wurde. Wenn es keinen warmen Unterschlupf gab, würde es die Nacht sicherlich eiskalt werden. Und hier draussen erfrieren wollte Liam ganz sicher nicht. Nicht, nachdem er es ein zweites Mal geschafft hatte, zu fliehen. Vielleicht hielt man ihn auch für einen Verrückten, der ausgebrochen war. Blut an der Kleidung, schmutzige Füße... Er musste über diesen Gedanken laut lachen. Und ihn kam auf einmal Valerie in den Sinn. Insgeheim fragte er sich, wie es ihr heute erging. War sie wieder gesund? Und hatte sie den Tod von ihrer Schwester irgendwie verkraftet? Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie ihm jetzt so sehen würde? Sicher, sie waren nicht die dicksten Freunde gewesen, doch war er auch in schlechten Zeiten für sie da gewesen. Er lehnte sich an einen Baumstamm und schloss die Augen. All das nachgrübeln in der Vergangenheit brachte ihn nicht weiter. Er musste zurück in die Realität.

Gewaltsam öffnete er die Augen, als er ein Geräusch vernahm. War es der Wind gewesen? Oder nur Einbildung? Oder hatte tatsächlich jemand einen Ast zerbrochen? Suchend blickte er sich um, bewegte sich aber nicht zu weit vom Baumstamm weg. Mehrmals drehte er sich um die eigene Achse. Er verharrte in seiner Bewegung, als er wenige Meter vor sich ein Mädchen sah. Argwöhnisch schob er seine Augenbrauen zusammen. Spielten ihn seine Sinne einen Streich? Lag es wohlmöglich an de Nebenwirkungen der Tabletten? Fest stand, dass das Mädchen vor ihm sehr jung wirkte. Sie konnte nicht älter als zehn sein, wirkte auf ihn aber sehr erwachsen. Und ihr Blick war aufmerksam und zeugte von einer gewissen Intelligenz. Das meiste, was Liam allerdings verwunderte war, das sie rosanes Haar hatte. Und sie trug keine wärmende Kleidung. Eher ein einfaches Hemd wie er. Doch sie schien auch keineswegs zu frieren. Im Gegenteil. Völlig regungslos stand sie da und beobachtete Liam genau. Ungläubig schüttelte dieser den Kopf. Das konnte nur ein Traum sein. Das Mädchen hob die Hand und winkte ihm kurz zu sich, ehe sie Liam den Rücken kehrte, zum gehen. Er streckte die Hand aus und wollte etwas rufen, doch etwas hinderte ihm daran. Stattdessen fingen seine Beine wie automatisch an zu laufen. Es schien so, als schiebe ihn eine unsichtbare Hand zu den Mädchen. Diese drehte sich allerdings nicht wieder um sondern lief im gleichmäßigen Schritt vorraus. Die letzten Sonnenstrahlen drangen durch das Blätterwerk, ehe eine angenehme Kälte seine Beine und Arme umschlung. Wie von Sinnen folgte er diesen Mädchen und war fasziniert von ihr. Der erste Stern funkelte am Abendhimmel und ehe sich Liam versah, verschwand sie hinter einen Hügel. Zumindest sah es so aus. Von Panik ergriffen beschleunigte er seine Schritte. Er wollte sie keineswegs aus den Augen verlieren!Und es schien ihn plötzlich eine ungeheure Lebensaufgabe, ihr zu folgen. Die letzten Meter begann er förmlich zu rennen. Allzuspät merkte er, das er längst keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Und die Dunkelheit drohte ihn zu ersticken.

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