Samstag, 1. September 2012

Kapitel 53

Es heißt, die Zeit heilt alle Wunden. Verliert man sich im einen Moment in hoffnungslose Gedanken, holt einen die Realität ein und verpasst einen einem kräftigen Stoß. So sehr, das man aufwacht und hofft, alles wäre nur ein bitterböser Alptraum.

Unruhig welzte sich Liam im Bett umher. Sein Blick fiel dabei immer wieder auf die Digitalanzeige seines Weckers neben sich, oder er starrte minutenlang die weiße Decke über sich an. Es war früh am Morgen, fünf Uhr morgens, wenn er richtig sah und neben sich hörte er das gleichmäßige atmen seiner Freundin. Seiner neuen Freundin, muss man hinzufügen. Die letzten Monate war so viel passiert. Oft plagten ihn in der Nacht Alpträume das er hilflos mitansehen musste, was Laurie wiederfahren war. Laurie... sie würde nie wieder zurückkommen, denn die Dunkelheit hatte sie verschluckt. Für immer. Und niemand hatte sich die Mühe gemacht, je nach ihrer Leiche zu suchen. Es herrschte Schweigen und auch Worte der Entschuldigung kam niemanden über die Lippen. In besonders schlimmen Nächten wachte er schreiend und schweißgebadet auf, die Angst im Nacken, das jeden Moment eine schwarze Klaue nach ihm greifen würde. Eine paranoide Vorstellung. Seine Hand glitt unter die Decke und suchte die Hand seiner Freundin. Zaghaft umschlang er ihre Finger, mit Bedacht, sie nicht aufzuwecken. Sie waren noch warm und erinnerten ihn an das erste Zusammentreffen. Es geschah einen Monat nach dem Vorfall. Seinen Job beim Militär hatte er an den Nagel gehangen und ging zurück nach Hause in das leere Appartment. Ziellos irrte er in den Zimmern umher, auf der Suche nach einen Beweis, das es sich alles um ein großes Missverständniss handelte. Aber es gab nichts, nichts das auf eine Art und Weise greifbar wäre. Er packte Fotos aus, um sie sich anzuschauen, im nächsten Moment landeten sie jedoch in der hintersten Zimmerecke. In seinen innersten kochten Gefühle über, die ihn kraftlos auf den Boden sinken ließen. Dann verbrachte er oft stundenlang damit, ohne es selbst mitzubekommen, einen Fixpunkt ununterbrochen anzustarren. Erst dann packte er reumütig die Fotos zusammen und stellte die Kiste in das hinterste Schrankregal, wo er es nicht sah. Es war ein ewiger Teufelkreis, der sich mehrmals wöchentlich wiederholte. Jemanden zum reden hatte Liam nicht. Der Kontakt zu Cheryl war vollends abgebrochen. Auch von Reece wusste er nicht, was mit ihm in der Zwischenzeit wiederfahren war. Irgendwann spätabends rappelte er sich auf, den Nachtbars auf den belebten Straßen einen Besuch abzustatten. Gedankenversunken lief er die Straßen entlang und besuchte jede Nacht eine andere Bar. Er gab unmengen an Geld aus und fand sich am nächsten Morgen in fremde Betten wieder. Nein, Sex hatte er nicht. Zumindest war Liam davon felsenfest überzeugt und ließ keine Möglichkeit offen. Er verschwand spurlos auf den Weg zum Appartment um sich für die kommende Nacht zurechtzumachen.

Blue Ocean war der Name der Bar, in der Liam sie das erste Mal traf. Ihr Haar war rosa, ganz wie das von Laurie und ihre Augen ... ein tiefes Blau, ganz wie der Ozean und seiner Geheimnisse. Sie war eine Tänzerin und was hätte Liam alles dafür gegeben, sie nur einmal auf einen Drink einzuladen! Fortan besuchte er jede Nacht das Blue Ocean, immer mit der Hoffnung, das sie auftreten würde. Geschah dies nicht, blieb er nur ein oder zwei Stunden, kippte sich ein paar Drinks runter und verschwand wieder, ohne jegliches Interesse am anderen Geschlecht. Doch trat sie auf, insgeheim der Hoffnung, nur für ihn allein, dann vergingen die Stunden wie im Flug. Liam beobachtete jede ihrer Bewegung, prägte sich jeden Zentimeter ihres Körpers ein, nur um es dann nochmal mit Alkohol runterzuspülen. Ja, er verlor sich in eine andere Welt und wollte in die Gegenwart mit all ihren hässlichen Erinnerungen nicht mehr zurückkehren. »Jede Nacht kommen Sie hierher um mich zu beobachten. Habe ich Recht?« Liam zuckte zusammen, als er die junge Frau vor sich sah. Sapphire nannte er sie insgeheim und nun stand sie vor ihm. Der Alkohol hatte bereits in vollen Zügen gewirkt und seine Gedanken wurden dadurch benebelt. Dennoch bemühte sich Liam mit aller Kraft, nicht zu lallen. »Ihre Schönheit verzaubert mich.« gestand er ihr offen und zündete sich eine Zigarette an. Er musste sich nichts vorspielen oder lügen, es war die volle Wahrheit. Zigarettenqualm umgab ihn. Doch das schien der jungen Frau kaum zu stören. »Ich habe nun Feierabend.« verkündete sie und trat hinunter in die kleine Lounge. Alle Sitzplätze waren aus weichen Leder, ausgestattet mit einen Tisch, mitten gelegen in einer kleinen Bucht. Ohne zu zögern setzte sie sich neben Liam und berührte seine Hand. »Ich lade Sie auf einen Drink ein. Was halten Sie davon?« Liam grinste und nahm einen Schluck seines Drinks. Seine Hand zitterte heftig. Doch war nicht die Nervösität gegenüber ihr. Vielmehr eine kleine Nebenwirkung seiner Verdrängung schlechter Erinnerungen. Und vielleicht lag es am Alkohol. Irgendetwas musste es sein. Ein Lachen entfuhr seiner Kehle, was sich irgendwie rau anhörte. »Ist es nicht die Rolle des Herrn, die Dame einzuladen?« Das Glas fand erneut den Weg zu seinen Mund. Auch sie musste darüber lächeln. »Sie kommen nur wegen mir hierher. Wie soll ich mich da erkenntlich zeigen?« Liam schaute sie nachdenklich an und drückte seine Zigarette aus, die gerade einmal halb abgebrannt war. »Sind Sie zu jedem Gast so?« Verlegen schüttelte sie den Kopf und umfasste mit einen Finger eine Haarsträhne. »Nein. Sie sind der Erste.« Das genügte Liam, ihre Einladung anzunehmen.

Faith lautete ihr Name. Zumindest ließ sie Liam dies glauben. Während sie hinter einer Garderobentür verschwand, wartete er unauffällig am Eingang, ohne die Aufmerksamkeit der Security auf sich zu lenken. Nach zehn Minuten erschien sie und umfasste sogleich seine Hand, als wären sie schon selbstverständlich ein Paar. Höflich verabschiedete sich Faith von den großstämmigen Männern und lief leicht tänzelnd auf ihren hohen Schuhen auf die beleuchtete Straße. Es hatte geregnet und die Lichter der Werbereklamen schimmerten in allen Farben auf dem Asphalt wieder. Ihre Hand umfasste immer noch deren von Liam und einmal umfasste er in letzter Sekunde ihre Taille, da sie drohte, umzuknicken. Ihr Lachen darüber war herzlich und erfrischend und schon bald hallte es in den Straßen wieder. Beide liefen in das Appartment von Liam. Es war mitten in der Nacht und beide wollten so wenig Lärm wie möglich machen. Trotzdem mussten sie immer wieder losprusten, ehe sie oben ankamen. Kaum hatte Liam die Tür hinter sich geschlossen, überfiel Faith ihn mit einen stürmischen Kuss. Es kam so unerwartet, das die Schlüssel auf den Boden klapperten. Eng an der Flurwand gepresst, wurde ihr Verlangen immer intensiver. Ihre Finger öffneten geschickt die Knöpfe seines Hemdes und wanderten mehr und mehr nach unten. Ein Keuchen entglitt Liam, ehe sein Blick auf ein Foto fiel, was er aufgehangen hatte. Es traf ihn völlig unerwartet und schon schwang die Keule der Realität auf ihn ein. Mit einen Mal war er hellwach und stieß Faith von sich, die völlig überraschend beinahe über ihre eigenen Beine stolperte. Liam sank langsam die Wand herunter und erwartete, das die junge Frau jeden Moment einen Wutanfall kriegen oder in Tränen ausbrechen würde. Stattdessen schaute sie ihn nur mit einen irretierenden Blick an und blieb regungslos an der gegenüberliegende Seite der Wand stehen. Im Schein der Abendlichter zündete sich Liam abermals eine Zigarette an. Eigentlich wollte er nicht in der Wohnung rauchen. Lange verweilte er in dieser Stellung, während die Asche auf den Boden fiel. Nachdenklich und meilenweit weg dachte er an Laurie. Wie konnte er sie nur betrügen? Hier in der eigenen Wohnung? Er schaute zu Faith herüber, die ihren Kopf auf ihre Knie gebettet hatte. Er konnte nicht ganz erkennen, ob sie ihm mit halboffenen Augen beobachtete oder schon schlief. Etwas in Liam hielt ihn davon ab, sie einfach auf die Straße zu setzen. Stattdessen trug er sie auf die Couch, ehe er selbst zu Bett ging.

1 Kommentar:

  1. Die Epi ist richtig cool! Wie immer sehr gut geschrieben =) Ich freu mich schon sehr auf die nächste *_*
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