Vor Schreck hätte ich mich beinahe von Nathan losgerissen. Doch die Szene, die Liam bot, war eindeutig. Und ich konnte es auch schlecht leugnen. Als ob Nathan meine Gedanken lesen könnte, setzte er mich langsam und behutsam ab. Den Blick aber immer auf Liam gerichtet, der uns beide argwöhnisch betrachtete. Nachdem ich einige Meter auf Abstand zwischen Nathanund mir nahm, entspannte sich Liam sichtlich.
Doch sein Blick verriet, das er am liebsten das störende Objekt aus dem Weg schaffen wollte. »Liam, es ist nicht so, wie es aussieht...« begann ich, doch er brach meinen Satz mit einer Handbewegung ab. »Halt die Klappe. Das klären wir später.« rief er schroff und richtete seinen Blick wieder auf Nathan. Dieser betrachtete die Situation ruhig. Scheinbar schien er wenig von Liam zu befürchten. »Ich will wissen, was das Ganze soll. Was hast du mit ihr angestellt, das sie verletzt ist?«
Ich zuckte zusammen. Und doch wollte ich verhindern, das es wohlmöglich in einen tödlichen Streit endet. Mit schnellen Schritten ging Liam zu Nathan herüber und packte Nathan am Kragen. Es störte Liam nicht im Geringsten, einen halben Kopf kleiner zu sein. Mit wilden Augen sah er ihn an und griff an seinen Gürtel, an dem seine Machete hing. Mit schreckensweiten Augen betrachtete ich beide und fing an zu zittern. Hört doch auf!, wollte ich schreien, doch ich brachte keinen Ton heraus.
Ich hatte keinen Zweifel, das Liam tatsächlich diese Waffe einsetzen würde, um Nathan abzustechen. Doch auch er blieb nicht untätig und mit einer einzigen, gezielten Bewegung warf er Liam auf den Boden. Als er zuerst mit den Kopf aufkam, zuckte ich abermals zusammen. Doch Liam war zäh und wollte gerade wieder aufstehen, da warf sich Nathan mit seinen gesamten Körpergewicht auf ihn. Um ihn ausser Gefecht zu setzen, schlang er seine Hände um seinen Hals. Ein erstickter Laut oder Knurren drang aus Liams Kehle, was mir der Atem stocken ließ.
Endlich fand ich meine Stimme wieder und ich schrie so laut ich konnte: »Hört endlich auf!« Nathan hielt inne und sah in mein verzweifeltes Gesicht. Mir liefen die Tränen herunter und ich schluchzte leise. »Töte ihn nicht. Bitte!« flehte ich und sank auf den Boden. Bestimmt wollte Nathan Liam damit nur Angst einjagen. Aber dies war kein Spiel mehr und hatte einen bitteren Beigeschmack bekommen.
Augenblicke später ließ Nathan von ihm ab. Selbst Liam startete keinen erneuten Versuch, nochmals anzugreifen. »Geh lieber.« rief ich Nathan zu und wandte mich Liam zu, der immer noch auf den Boden lag. Ohne ein weiteres Wort verschwand er aus der Wohnung und zog geräuschlos die Tür hinter sich zu.
Als wir beide alleine waren, herrschte absolute Stille. Ich konnte nur den Atem von uns beiden vernehmen. »A-Alles in Ordnung mit dir?« fragte ich vorsichtig nach und kniete neben ihm. Sein Blick verriet rein gar nichts über seine Gefühlslage. Stattdessen starrte er einfach nur zur Decke, die eine Hand auf seiner Machete. Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte, als ich keine Antwort erhielt.
Der altbekannte Schmerz meiner Schulter kehrte zurück und raubte mir fast den Atem. Liam bemerkte meine Veränderung und schaute zu mir herüber. »Was ist passiert?« fragte er mit kühler Stimme, aber dennoch mit Interesse. Unbehaglich schaute ich zur Seite und hielt meine Schulter fest. »Das... ist eine lange Geschichte.« brachte ich hervor. Als Liam nichts mehr erwiederte, dachte ich, diese Antwort hätte ihn zufrieden gestimmt.
Voller Hoffnung hielt ich ihn meine Hand hin, damit wir gemeinsam aufstehen konnten, was trotz der Schmerzen wohl nicht einfach werden würde. Doch es kam anders als erwartet. Im ersten Moment konnte ich es kaum glauben, das mir Liam die Hand wegschlug. Es tat nicht weh, doch es betäubte. Ohne imstande, mich zu bewegen, kam er auf die Beine und ging zum Wohnzimmer. An der Schwelle drehte er sich um. Unsere Blicke trafen sich und ich musste mich behrrschen, nicht gleich loszuheulen.
»Ich schlafe heute Abend auf der Couch.« Mehr kam nicht. Und Liam setzte seinen Gang fort, während ich unbeweglich auf den Flurboden saß. Hatte ich damit etwa meine Beziehung zerstört?
Selbstverständlich konnte ich die halbe Nacht kaum schlafen. Es lag sowohl an den Schmerzen, als auch am schlechten Gewissen. Stundenlang verharrte ich im Bett. Dabei war es mir unmöglich, mich auf die schmerzende Seite zu legen. Ich überlegte, das ich gleich am nächsten Morgen zum Arzt gehen könnte, um einen Krankenschein abzuholen. Den würde ich schnell im Büro vorbeibringen, und dann schnellstens wieder Heim fahren. Ich hoffte, bis dahin hatte sich Liam wieder beruhigt. Ständig richtete sich mein Blick auf den Flur, in der Hoffnung, er würde vielleicht
doch in das Schlafzimmer kommen. Doch meine Erwartungen wurden jedoch nicht erfüllt. Erneut flossen mir Tränen das Gesicht herab. Wie um allen in der Welt sollte ich das Liam nur erklären?
Erstaunlicherweise war ich am nächsten Morgen schon früh wach. Ich verspürte auch keine große Müdigkeit, nahm aber dennoch eine kalte Dusche. Auf Zehenspitzen schlich ich mich in das Bad. Ich konnte es aber nicht lassen, ins Wohnzimmer zu schauen. Da lag Liam, friedlich und sichtlich zufrieden? Wenige Meter blieb ich vor der Couch stehen und betrachtete sein Gesicht. Beinahe trieb es mir wieder Tränen in die Augen. Schnell wendete ich mich ab und lief ins Bad. Wie ich bald feststellen musste, stellte es sich als schwierig heraus, eine normale Dusche zu nehmen.
Es dauerte nur wenige Minuten, ehe ich alles von selbst beendete und halb zitternd auf den Wannenrand saß. Ich hörte Schritte und Augenblicke später stand Liam vor mir. Er sah noch etwas müde aus, doch ich konnte nicht erkennen, das sich etwas verändert hat. Mit unergründlicher Miene schaute er mich an. Ich brachte ein Lächeln zustande, was aber sogleich wieder erstarb, als Liam es nicht erwiederte. Ohne weitere Worte ging ich aus dem Bad um mich fertig zu machen. Der Arzt wartete.
Während ich mit der Straßenbahn fuhr, versuchte ich, so gut es ging, nicht an die aktuelle Situation zwischen mir und Liam zu denken. Trotzdem seufzte ich mehr als einmal vor mich hin. Hoffentlich beoabchtete mich dabei keiner. Nach einer weiteren Untersuchung beim Arzt, hatte ich meinen Krankenschein sowie ein weiteres Rezept für ein Schmerzmittel. Etwas mulmig war mir ja schon, sich beim Personalleiter zu melden. Er war sicherlich alles andere als erfreut, das ich ausfiel. Und wie ich bald erfuhr, trügte mich meine Vorahnung nicht. Der Personalleiter war alles andere als begeistert, als ich ihm etwas schüchtern meinen
Krankenschein vorlegte. Ohne darauf zu schauen, fragte er mich: »Wann werden Sie wieder da sein?« Unsicher schaute ich ihn an. »Ähmm...« Das steht doch auf dem Zettel, wollte ich beinahe sagen, doch stattdessen antwortete ich: »Ich schätze zwei Wochen? Oder Drei?« Er hob eine Augenbraue. Als er in irgendwelchen Ordnern nachschaute, murmelte er etwas von »Typisch keine Zeit...« Ich verabschiedete mich höflich und ging mit gemischten Gefühlen nach Hause. Ich hatte das Gefühl, jeder würde mich hassen. Naja... ausser Cheryl vielleicht? Ich zog mein Handy hervor und wählte ihre Nummer. Erst nach dem sechsten Klingeln nahm endlich jemand ab.
Es war Cheryl, die ausser Atem war. Zumindest hörte es sich an. In mir kam ein schreckliches Gefühl hoch. »Hi, ich bins, Laurie.« rief ich. »Hättest du vielleicht Zeit?« Es entstand eine Pause und ich hörte irgendwo von weitem eine männliche Stimme. »Äh... sorry Laurie-Schätzchen. Ich bin gerade... naja... wie soll ich sagen, ziemlich beschäftigt. Ich hoffe, du verstehst das.« »Klar.« antwortete ich schnell und biss mir auf die Unterlippe. »Äh... Dann noch Viel Spaß.« Ich legte schnell auf, ohne Cheryl zu Wort kommen zu lassen. Jetzt fühlte ich mich erst recht mies. Liam war sauer auf mich, Nathan meldete sich nicht und Cheryl hatte keine Zeit.
Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen?
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