Mit Beinen wie Wackelpudding versuchte ich, nach draussen zu kommen. Am Eingang erwartete mich bereits Tantchen und ich stürzte mich in ihre Arme.
Hinter uns tauchte ein Polizist auf, der unsere Personalien aufnehmen wollte. Nachdem er sich alles notiert hatte, meinte er, es würde mich gerne am nächsten
Tag auf dem Polizeipräsidium sehen wollen. Ich hätte zu jedem Ja und Amen gesagt, wenn ich nur endlich heim konnte. Auch dieser Abend endete wohl in einer absoluten Katastrophe.
»Ich bin sofort hierhergekommen, als ich davon gehört habe.« rief Tantchen aufgeregt, als wir im Auto saßen. »Du musst morgen unbedingt zur Polizei und eine Aussage machen.« verlangte sie und schaute
stur auf die Straße, als sei sie Schuld daran, was im Kino passiert war. Ihre Finger krallten sich förmlich in das Lenkrad. »Keine Sorge. Ich bin nicht verletzt oder so.« murmelte ich und hoffte, sie baute mit dem Auto keinen Unfall.
Ich war etwas müde, als wir heim kamen. Wie schnell die Zeit hier verging, fiel mir auf. Schon wieder war fast ein Tag um. Lange hatte ich mir vorgenommen, Klavier zu spielen. Und das wollte ich jetzt unbedingt in die Tat umsetzen.
Tantchens Klavier befand sich in einen seperaten Raum, der sich auf den Dachboden befand. Dort oben war es keineswegs staubig. Im Gegenteil, alles wieder in überwiegend weißen Tönen mit farblichen Akzenten gehalten. Die letzten Sonnenstraheln fielen durch das Fenster auf den Boden und
bildeten kleine Lichtspiele. Ich nahm Platz und schlug wahhlos eine Seite meines Notenbuches auf. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und atmete aus. Ich setzte meinen Finger auf die erste Taste, da vernahm ich aus heitren Himmel den fast vertrauten, kalten Windhauch in meinen Nacken wahr.
Ruckartig drehte ich meinen Kopf nach hinten, nur um mich zu vergewissern, das niemand unmittelbar hinter mir stand. »C-Cathrin?« flüsterte ich. »Bist du da?« Ich wartete in der Stille und drückte langsam eine andere Taste herunter. Es passierte nichts. Langsam glaubte ich, es mir eingebildet zu haben.
Ich drehte mich um, konzentrierte mich auf die Noten und setzte mein Spiel fort. Schon bald erklangen liebliche Melodien durch den Raum, die scheinbar ihren Weg zu Tantchens Ohr gefunden zu haben schienen. Irgendwann stand sie da am Treppenansatz und betrachtete mich.
Am nächsten Tag begleitete mich Tantchen zum Polizeipräsidium. Es machte mich etwas nervös, auszusagen, zumal ich kaum etwas mitbekommen hatte. Das Gebäude war nur halb so groß wie bei uns in Oslo, sah aber wesentlich hübscher aus, als so ein grauer Betonklotz.
Innen war es es angenehm warm, denn das Wetter hatte sich heute früh drastisch verändert. Statt milder Brisen gab es kalte Winde. In wenigen Wochen würde es wohl anfangen, zu schneien! In dieser Gegend wohl nicht ungewöhnlich. Wir folgten der Ausschilderung und fanden
das Büro irgendwo im ersten Obergeschoss. »Bitte setzen Sie sich.« forderte uns der Mann auf, der hinter einem Schreibtisch saß. Es war der Gleiche, der gestern unsere Personalien aufgenommen hatte. Wir nahmen Platz und er schaute uns aufmerksam an, ganz besonders mich, hatte ich das Gefühl. »Geht es Ihnen gut?«
Ich nickte. »Schildern Sie mir, was Sie gestern erlebt haben.« Ich schaute auf meine Hände, die ich auf meinen Schoß gelegt hatte. »Naja... Der Schuss kam unerwartet. Ohne jegliche Vorwarnung.« »Konnten Sie erkennen, aus welcher Richtung er kam?« Ich schüttelte den Kopf. »Es war ziemlich dunkel im Saal. Nur die Leinwand erhellte unsere Gesichter. Personen, die
um einen herum saßen, konnte man nur schemenhaft erkennen.« Es entstand eine Pause, ehe der Polizist erwiederte: »Der erste abgegebene Schuss ging unmittelbar in ihre Richtung. Dabei wurden Sie allerdings nicht verletzt. Wir gehen davon aus, das es eine Art Warnschuss war.« »Und der Zweite?« Ich schaute nach oben.
»Dieser war schon etwas zielgerichteter. Die Ermittlungen am Tatort laufen noch.« Ich nickte. Der Mann stellte mir weitere Fragen: »Wer hat Sie zum Kino begleitet? Hätten Sie einen konkreten Tatverdacht?« Bei der letzten Frage biss ich mir leicht in die Unterlippe. »Vivian hat mich eingeladen. Und Aaron war auch noch dabei.« Mehr wollte ich nicht sagen. Doch Tantchen drängte mich weiterzusprechen.
»Laurie? Wenn du noch mehr weißt, musst du das sagen. Jemand hat versucht, dich umzubringen.« Ich schaute in ihre Richtung und überlegte, was ich sagen sollte. »Für unsere Ermittlungen kann es nur eine große Hilfe sein, wenn wir den Täter finden wollen.« setzte der Polizist nach und schaute mich an.
»E-Es ust kein konkreter Verdacht...« begann ich. »Es könnte Liam sein. I-Ich habe ihn kurz gesehen, als alles vorbei war. Er hatte mich mit einen erbamungslosen Lächeln angesehen.« Man sagte mir, ich sollte von allen Bekannten die Adresse weitergeben. Ganz besonders die von Liam. Denn Augenblicke später griff der Mann zum Telefon und wies einen Kollegen an, gleich
mal bei ihm vorbeizuschauen. Wir beide wurden dann entlassen. Man würde sich bei Tantchen melden, wenn es Neuigkeiten gab.
Ich war froh, draussen zu sein. Aber auf der anderen Seite fühlte ich mich schuldig, das ich Liam verraten hatte. Aber ich wusste ja gar nicht, ob er damit etwas zu tun hatte. Das Grinsen hatte ich ja nicht zum ersten Mal bei ihm gesehen. Die Fahrt nach Hause verlief wieder sehr schweigsam.
Es war bereits Nachmittag. Um mich abzulenken, half ich Tantchen bei der Zubereitung des Mittagessens. Mir gingen Gedanken durhc den Kopf, was ich als Nächstes hätte tun können. Abwarten, bis die Polizei etwas herausgefunden hatte? Oder selbst die Initiative ergreifen? Wie aufs Stichwort klingelte das Telefon.
Ich ahnte, das es der Ermittler war, der uns etwas sagen wollte. Tatsächlich handelte es sich um ihn, denn Tantchen führte ein langes Gespräch. Mit einen bestürzten Gesicht kam sie in die Küche und ich ließ mein Schneidegerät auf der Arbeitsfläche liegen.
»Ist etwas passiert?« fragte ich leicht besorgt. Tante Berit setzte sich auf einen Stuhl. »Sie waren gerade in Liams Wohung. Sie sagten mir, er sei momentan nicht auffindbar.« »Das heißt, er ist untergetaucht!?« Meine Gedanken begannen von vorne zu rasen. Hatte Liam wirklich etwas damit zu tun?
Aber wenn er mir helfen wollte, warum hatte er mich zu Valerie begleitet? Genau! Valerie! Vielleicht war er bei ihr! Ich eilte aus der Küche, ohne zu wissen, wie ich eigentlich ohne eigenes Fahrzeug da hinkommen sollte. Busfahrten! Hoffentlich fuhr ein Bus da entlang! Ich rannte nach oben in mein Zimmer, schnappte mir
meine Geldbörse und rannte wieder nach unten. Hastig zog ich mir meine Schuhe und Jacke an. »Ich muss weg!« rief ich Tantchen zu, die verblüfft aus der Küche schaute. »Komm rechtzeitig zum Mittagessen wieder.« Ohne weitere Fragen ließ sie mich gehen, was mich verwunderte.
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